Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
Baden — Hessen 
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dem oben angeführten engeren Sinne gebrauchte 
Bezeichnung „Gemeindebeamte“ auf alle in dieses 
Statut ausgenommenen Organe ausgedehnt. 
5 5. Die Disziplinargewalt über die Ge- 
meindeorgane liegt, 1. soweit es sich um un- 
mittelbare Organe handelt, fast ausschließ- 
lich in der Hand der staatlichen Aufsichtsbehörde 
(GemO u. StO 5 28). Nur gegenüber den Mit- 
gliedern des Bürgerausschusses und der Gem Ver- 
sammlung ist der Gem Vorstand zur Ausübung 
einer gewissen Disziplinargewalt mit berufen, 
indem er bei Ausbleiben von der Beratung gering- 
fügige Geldstrafen (4 oder 5 Mk.) festsetzen kann 
(GemO #55; St O # 53). Das staatliche Einschrei- 
ten kann sich immer nur gegen einzelne Mitglieder 
der Gem Kollegien richten; es ist ferner nur zuge- 
lassen gegenüber den Mitgliedern der Gem Ver- 
waltung. Das badische Recht kennt keine Befug- 
nis zur Auflösung weder des Gemeinde- (loder 
Stadt--)rates noch des Bürgerausschusses, und die 
Mitglieder des letztgenannten Kollegiums sind 
von dem oben angeführten Falle abgesehen, 
einer Disziplinargewalt überhaupt nicht unter- 
worfen. Die Disziplinarmittel be- 
stehen bei Willkürlichkeiten im Dienst, Dienstnach-- 
lässigkeiten und Ungehorsam gegen Anordnungen 
der Staatsbehörden zunächst in einem Verweis 
und in der Androhung der Entlassung; in schwe- 
reren Fällen, besonders wenn der Beschuldigte sich 
als dienstunfähig erwiesen, oder die öffentliche 
Achtung eingebüßt hat, ebenso wenn die Besse- 
rungsversuche nicht geholfen, tritt eventuell nach 
vorheriger einstweiliger Dienstenthebung die vom 
Bezirksrat auszusprechende Entlassung ein (Gem-O 
zz 33 ff; StO §§8 37 ff). Letztere kann auf Antrag 
des Bürgerausschusses auch „aus anderen Ursa- 
chen“ verfügt werden, „welche die Dienstführung 
sehr erschweren oder vereiteln". Der Oberbürger- 
meister und die Bürgermeister können selbst „nach 
bloßer Vernehmung" der Gem Vertretung seines 
Amtes enthoben werden, wenn ihre Dienstfüh- 
rung das staatliche Interesse in schwerer Weise 
gefährdet. Gegen jede Entschließung der Staats- 
behörde, welche eine Dienstentlassung ausspricht, 
steht dem Betroffenen (seit 1911 auch in den nicht 
der StO unterstellten Gem) eine Klage an den 
BGH zu (GemO # 38; StO 5s 42). Die Ent- 
lassung bewirkt Dienstunfähigkeit für die Dauer 
einer Wahlperiode (GemO # 36; StO 3# 40). 
In den StOtädten (nicht jedoch in den übrigen. 
Gem) bewirkt eine aus den beiden zuletzt ange- 
führten Gründen (nach § 26) ausgesprochene Ent- 
lassung eventuell den Eintritt der Pensionsberech= 
tigung. 
2. Die Mitglieder oder Kommissionen sind in 
disziplinärer Hinsicht den Mitgliedern des Gem- 
Vorstandes gleichgestellt, soweit es sich nicht um 
Personen handelt, die kraft besondern staatlichen 
Auftrages und in ihrer Eigenschaft als Staats- 
beamte in die Kommission berufen sind (GemO 
u. St O 5# 28). Gleiches gilt bezüglich der beiden 
notwendigen Beamten, d. h. des Ratschreibers und 
des Rechners. Ueber die Geltendmachung einer 
Disziplinargewalt gegenüber den übrigen mittel- 
baren Gem Organen fehlte es, von der mehrer- 
wähnten Ordnungsstrafbefugnis des Bürger- 
meisters oder Oberbürgermeisters abgesehen, bis- 
her an jeder gesetzlichen Vorschrift. Soweit es 
sich um „städtische Beamte“ handelt, konnte die 
  
  
entsprechende Regelung auf statutarischem Wege 
erfolgen. Die Novelle v. 26. 9. 10. schreibt nun 
vor, daß in den zu erlassenden Statuten auch Vor- 
schriften über das gegen die übrigen Beamten 
einzuhaltende Disziplinarverfahren aufzunehmen 
seien und gibt denjenigen Beamten, die bereits 
einen Ruhegehaltsanspruch erworben haben, das 
Recht gegen einen auf Dienstentlassung lautenden 
Beschluß der Gem den Bezirksrat und den VG#M# 
anzurufen (Gem O ## 31, 38, StO ss 31, 42) 
Literatur: Wielandt, Die bad. Gem Gesetz 
gebung im engeren Einne', 1893; Ströbe, Entwurf der 
bad. Gem Berf 1894; Lederle, Das Recht der Gem- 
Beamten in Baden 1909; Schriften des Bereins für Sozial- 
volitik Bd. 120 Heft 3, Verkassungs-- und Verw Organisation 
der badischen Städte (von Walz, Landmann und Ehrler); 
Hertrich, Disziplinarrecht der bad. Gem Beamten (8 für 
bad. Verwaltung 1910 S 241). Walz. 
F. Bessen 
# 1. Stadtgemeinden und Landgemeinden; A. Stadtge- 
meinden: 32. Stadtverordnetenversammlung; 1 3. Bür- 
germeister, Beigeordnete; § 4. Magistratsverfassung; 35. Ge- 
meindebeamte; B. Landgemeinden 16.; 1 7. Staats- 
aussicht; 3 8. Reformen. 
z 1. SEtadtgemeinden und Landgemeinden. 
Allgemeines. Die Gem als die mit Korporations- 
rechten auf dem Gebiete des öffentlichen und pri- 
vaten Rechtes ausgestatteten Organe haben die 
Aufgaben der Selbstverwaltung und des Staates 
zu erfüllen. Sie sind in Hessen entweder Stadt- 
oder Land Gem. Entscheidend für den Unter- 
schied ist die Einwohnerzahl, Ortschaften mit min- 
destens 10 000 Einwohnern (nach der Reform: 
15.000) sind Gem im Sinne der Städteordnung, 
Orte mit 3—10000 Einwohnern (nach der Reform: 
3—15000) sind Land Gem, es sei denn, daß der 
Luandesherr auf Antrag nach Anhörung des Kreis- 
tags das Stadtrecht besonders verliehen hätte. 
Orte unter 3000 Einwohnern sind immer Land- 
Gem. Die Bildung, Umgestaltung und Auflösung 
einer Gem ist von der Genehmigung der Staats- 
regierung abhängig. Die Vereinigung zweier Gem 
kann nach übereinstimmendem Beschluß der bei- 
derseitigen Ortsvorstände nach Anhörung des 
Kreistags von dem Landesherrn genehmigt wer- 
den. Die Vereinigung hat sich auf die Gemar- 
kung, das Vermögen und die Schulden zu be- 
ziehen. Jede Gem soll einen bestimmten räumlich 
umgrenzten Bezirk (die Gemarkung) haben. Die 
Bewohner dieser Gemarkung bilden die OrtsGem 
im weiteren Sinne, während die Gem im engeren 
Sinne nur die Ortsbürger umfaßt. Nicht immer 
ist jedoch die Gemarkung die Unterlage für den 
Wirkungskreis der Gem. Es gibt gemarkungs- 
freien oder gemarkungsselbständigen Grundbesi. 
So zum Beispiel standesherrliche oder Domanial= 
waldungen, welche von dem Gem Gemarkungs- 
recht nicht erfaßt werden und nur in bezug auf 
polizeiliche Aufsicht und Erhebung der Staats- 
abgaben einer politischen Gem zugeteilt sind. Die- 
ses selbständige Gemarkungsrecht äußert sich in 
der Befreiung von der Pflicht des Beitrags zu 
den Gem Lasten. Die sogen. Ortsbürger Gem 
(Gem im engeren Sinne) umfaßt, mit Ausnahme
	        
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