Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Hessen (B. Behördenorganisation) 
  
missäre und Kreisräte wurde das ganze Staatsgebiet 
in 10 Regierungsbezirke eingeteilt, an deren 
Spitze als Bezirksverwaltungsbehörden ebenso- 
viele Regierungskommissionen ge- 
stellt wurden. Den aus Berufsbeamten bestehen- 
den Regierungskommissionen wurde in jedem 
Reg Bezirk je ein aus 12—24, vom Volke gewähl- 
ten Laien bestehender Bezirksrat zur Seite 
gestellt, der teils begutachtend, teils entscheidend 
bei der staatlichen Verwaltung und namentlich 
bei gewissen verwaltungsrichterlichen Entschei- 
dungen mitzuwirken hatte (Gv. 31. 7. 48). — 
In der Reaktionszeit wurden zunächst die Reg Be- 
zirke und Reg Kommissionen wieder durch eine 
größere Zahl von Kreisen (26) und Kreisräten 
ersetzt, dann wurden die Bezirksräte wesentlich 
konservativer zusammengesetzt und in ihren Kom- 
petenzen beschränkt (G v. 28. 4. 52; Edikt v. 
12. 5. 52; G v. 10. 2. 53). 
Die Ministerialorganisation blieb während die- 
ser Zeit, abgesehen von der im Jahr 1848 vorge- 
nommenen Abtrennung des Justiz in vom 
Min Inn, unverändert. 
5. Bald nach der Gründung des Deutschen Reichs 
folgten weitere Reformen. Vor allem wurde 
durch G v. 12. 6. 74, betreffend die innere Ver- 
waltung und die Vertretung der Kreise und Pro- 
vinzen (sog. „Kreisordnung"), auf der Basis der 
Gesetzgebung von 1832 und 1848, zugleich aber 
auch in starker Anlehnung an das preußische Vor- 
bild, eine umfassende Reorganisation 
der mittleren und unteren Ver- 
waltungsbehörden vorgenommen. Das 
Endziel der neuen Verw esetzgebung ist die Teil- 
nahme der Verwalteten an der Verwaltung, 
oder, m. a. W., die Durchführung des Selbst- 
verwaltungsprinzips auf dem Ge- 
biete der mittleren und unteren Staatsverwal- 
tung. Hand in Hand mit der Reform der staat- 
lichen Verwaltung und in untrennbarem Zu- 
sammenhang mit dieser erfolgte eine durchgrei- 
fende Reorganisation der gemeindlichen Verwal- 
tung: Die durch das Gv. 12. 6. 74 geschaffenen 
Selbstverwaltungsorgane des Staates sind zu- 
gleich die verfassungsmäßigen Organe der Ge- 
meindeverbände (Provinzen und Kreise), ebenso 
wie andererseits die durch die beiden Gemeinde- 
ordnungen (Städteordnung und Landgemeinde- 
ordnung) v. 13. und 15. 6. gl. Is. geschaffenen 
Organe der Ortsgemeinden zugleich auch be- 
stimmte Funktionen auf dem Gebiete der staat- 
ichen Verwaltung zu übernehmen haben (7 13). 
— Eine notwendige Folge der VerwReform und 
der damit organisch verbundenen Regelung der 
Verwerichtsbarkeit war die Aufhebung des 
Staatsrats und des Administrativjustizhofs, deren 
Funktionen teils an den neu errichteten Ver- 
waltungsgerichtshos, teils an das Mi- 
nisterium des Innern, teils an das Gesamt Min 
übergingen (G v. 11. 1. 75, Bek v. 28. 6. 75). 
Ungefähr zu gleicher Zeit erfolgte eine aber- 
malige Abänderung der Ministerialorganisation, 
indem wieder ein cinheitliches, die Ministerien des 
Innern, der Justiz und der Finanzen umfassendes 
Gesamt Min geschaffen wurde. Das Min des 
Großherzoglichen Hauses und des Acußern wurde 
zu einem Annexc des Staat= Min, insoserne als 
der „Staatominister“, d. i. der Min Präsident, nun- 
mehr rechtlich notwendig zugleich Min des Groß- 
  
herzoglichen Hauses und des Aeußern ist (B v. 
22. 8. 74). — In den Jahren 1879 bis 1899 wur- 
den nochmals mehrfache Aenderungen der Mi- 
nisterialorganisation vorgenommen; namentlich 
wurden durch V v. 1. 8. 96 die durch die Organi- 
sations V v. 15. 3. 79 zu einem Ministerium ver- 
einigten Ressorts des Innern und der Justiz wie- 
der in zwei selbständige Ministerien zerlegt. — 
Die Gesetzgebung vom Jahre 1874, insbesondere 
die vorerwähnte sog. Kreisordnung, bildet mit 
geringfügigen Aenderungen die Grundlage der 
heutigen Verw Organisation. — Die nach mehr- 
jährigen vergeblichen Versuchen im Jahre 1911 
zum vorläufigen Abschluß gelangte Reform der 
Verwaltungsgesetze, welche namentlich das Gesetz, 
betreffend die innere Verwaltung und die Ver- 
tretung der Kreise und Provinzen (sog. Kreis- 
und Provinzialordnung), das Verwaltungs- 
rechtpflegegesetz, die Städteordnung und die 
Landgemeindeordnung — alle vom 8. Juli 1911 
— umfaßt, läßt die Grundzüge dieser Organisa- 
tion unberührt. 
8 9. Das Staatsministerium. An der Spitze 
der gesamten Behördenorganisation steht das 
kollegialisch organisierte Staatsministerium. Es setzt 
sich zusammen aus dem Staats Min, welcher Präsi- 
dent des Ministeriums und zugleich Min des Groß- 
herzoglichen Hauses und des Aeußeren ist, aus 
den Vorständen und Ministerialräten der drei 
Einzelministerien und aus einem für das Staats- 
Min besonders angestellten Rate. Den beiden 
letztgenannten Kategorien von Ministerialmit- 
gliedern steht nur beratende Stimme zu. Die 
Ausführung der Beschlüsse des Staats Min ob- 
liegt, jie nach dem Gegenstand, entweder dem 
Staats Min oder dem zuständigen Ressortminister. 
Der Geschäftskreis des Staats Min umfaßt alle 
diejenigen Angelegenheiten, welche von grund- 
sätzlicher Wichtigkeit für den ganzen Staat sind, 
wie die Bezichungen Hessens zum Reich, die Aus- 
legung zweifelhafter Verfassungsbestimmungen, 
Landtagsangelegenheiten, Staatsdienstverhältnisse, 
Anstellung und Entlassung höherer Staatsbe- 
amten, Preß-= und Vereinswesen und Verhältnis 
des Staats zu den Religionsgesellschaften, soweit 
es sich um grundsätzliche oder politisch wichtige 
Entschließungen handelt; endlich aber alle die- 
jenigen Gegenstände, bei welchen sämtliche 
Ressorts interessiert sind, oder bei welchen die 
beiden nächstinteressierten Ressorts sich nicht ge- 
einigt haben, oder welche aus irgend einem an- 
dern Grunde von dem Großherzoge, von dem 
Staats Min oder von dem zuständigen Ministe- 
rialvorstande zur Begutachtung bezw. Beratung 
vor das Staats Min gebracht werden. 
Zum unmittelbaren Geschäftskreise des Staats- 
ministers gehören außer den Angelegenheiten des 
Großh. Hauses namentlich die auswärtigen An- 
gelegenheiten und die Wahrnehmung des Ver- 
kehrs mit dem Reiche. Ferner sind dem Staats Min 
aus denjenigen Ministerien, welche er nicht selbst 
leitet, alle allgemeinen Anordnungen zur Aus- 
führung oder Anwendung von Gesetzen oder Ver- 
ordnungen (Ausschreiben), sowie alle auf Anstel- 
lung usw. von akademisch gebildeten Beamten be- 
züglichen Anträge vor dem Erlaß bezw. vor der 
Antragstellung an den Großherzog zur Kenntnis- 
nahme und Billigung vorzulegen (V v. 15. 3. 799 
1. 8. 96). — Dem Staats Min sind eine Reihe von
	        
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