Full text: Geschichte des Preußischen Staates

Vorwort zur ersten Auflage. 
Ciegt dir Gestern klar und offen, 
Wirkst du heuie kraͤftig frei, 
Uanns auch auf ein Morgen hoffen, 
Das nicht minder Hläücklich jei. 
Gocthe. 
Noch liegt die Feit nicht allzuweit hinter uns, in welcher wir die Uenntnis der 
fremden Staaten für weit notwendiger als die des eigenen hielten. Der preußische Staat 
galt ja nichts anderes als eine Episode in der Geschichte der Jahrtausende, welche dem 
Drange nach Erkenntnis des Universums, wie er der Wissenschaft eigen ist, ein würdiges 
c#eld nicht zu bieten schien. Man übersah, daß, wie Goethe sagt, keine Nation ein 
Urteil gewinnt, als wenm sie über sich selbst urteilen kann. Freilich, so setzt Goethe 
hinzu, „zu diesem Vorteil gelangt sie aber sehr spät“. Heute, da das gute Schwert 
Uaiser Wilhelms uns die nationale Selbständigkeit und Geltung wiedergewonnen hat, 
wendet sich umgekehrt das Ausland dem Studium unserer Geschichte zu. Und wenn es 
den fremden Gelehrten bei aller Bereitwilligkeit, die männischen Tugenden unseres 
Staates anzuerkennen, doch nicht geliugen will, seine Eigenart, sein Wesen recht zu 
erfassen, so scheint dies darin begründet, daß sie ebenso, wie dies bis vor kurzem in 
Deutschland geschah, das allmähliche lvachstum des Staates sich im Grunde doch nicht 
anders als aus einer, durch Glück und Talente begünstigten, Herrschsucht erklären können. 
Das Wesen ihee Staates ist in Wirklichkeit ein solcher Auschanung ganz entgegen- 
gesetztes. Wie die Gegenwart das Erzeugnis der Dergangenbeit, so ist auch die Ver- 
Langenheit nicht mm Uenntnis der Gegenwart zu verstehen. Mlit Recht ist darauf 
hingewiesen, daß Kant die Lehre vom kategorischen Imperativ nur in Hreußen aufstellen 
konnte. Deun, welche Irrtümer dieser Staat, als ein Gebilde der Menschenhand, auch 
aufweist, so ist das treibende Motiv seiner Entstehung in der That nichts anderes als eine 
bis zur Stunde fortgesetzte Erfüllung der jeweiligen HPflicht. Ja, wenn die Hflicht als „die 
Forderung des Tages“ erläuntert wird, so haben die Herrscher ans dem Hohenzollernhause 
in staunenswerter Folge, mit kaum neunenswerten, die Regel bestätigenden, Ausnahmen 
nicht nur der Befriedigung der wahren Bedürfnisse ihrer Seit gelebt, sondern, den Seit- 
genossen voran, neue Forderungen, neue Bedürfnisse geschaffen. Sie haben, indem sie in 
ihrer herrschenden Stellung nicht sowohl ein nutzbares Recht als vielmehr ein verpflichtendes 
Amt erkannten, indem sie neben dem materiellen vorzüglich das sittliche, wie staatliche Wachs- 
tum des Volkes leiteten, das Gebot der Pflicht zuerst ihrem Heere, dann ihren Zeamten 
und zuletzt ihrem ganzen Staat eingepflanzt. So haben sie einen Staat geschaffen, welcher, 
ohne „zu den uralten nationalen Hotenzen“ zu gehören, doch dem nationalen Gedanken die 
reinste Gestaltung gab, welcher sowohl die Einheit zwischen Regierung und Unterthau, wie 
die von Alristoteles geforderte Einheit zwischen Ethik und Holitik zur lebendigen Wahrheit 
macht und in der politischen zugleich die sittliche Idee zur Erscheinung bringt. Die 
Erfüllung des Hlichtgebotes ist somit recht eigentlich das Wesen unseres Staates, und darin,
	        
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