Full text: Geschichte des Preußischen Staates

740 Kaiser Wilhelm I. 
der Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein die Hand zum Ehe- 
bunde reichte, als am 6. Mai 1882 ihm ein Urenkel geboren wurde, der dereinst 
seine Krone tragen soll! Welche Freude, als er die Geburt noch weiterer drei 
Prinzen seines Enkels erlebte! Welche Erquickung für den Kaiser, als er bei 
allen Festen, die er und sein Haus feiern durften, als bei all seinen Geburts- 
tagen und vorzüglich bei seiner goldenen Hochzeit, seinem Regierungsjubiläum, 
seinen Militärjubiläen, seinem achtzigsten und vollends bei seinem neunzigsten 
Geburtstage Fürsten und Völker sich einmütig um seinen Thron scharten, aus 
begeisterten Herzen ihm Huldigung und Dank, Ehrfurcht und Liebe entgegen- 
brachten! Wo immer der Kaiser sich zeigte in Preußen und den deutschen Staaten, 
im Reichslande und im Auslande, bei Manövern, in Bädern, bei unzähligen fest- 
lichen Gelegenheiten, wie der Einweihung des Niederwalddenkmals, oder nun gar am 
Fenster seines schlichten, von einer dichtgedrängten Menge belagerten Palais, 
wenn er nach seiner Gewohnheit das Aufziehen der Wache beobachtete, oder 
wenn er in seinem einfachen Gefährt 
durch die Straßen Berlins fuhr: immer 
und überall wurde er umjubelt, ge- 
5 feiert, geliebt. Und herzbewegender, 
seelenvoller wußte niemand zu danken 
als er, und zutreffender, die Herzen 
erhebender, war keine Beredsamkeit als 
die, welche aus all seinen Erlassen, 
Briefen und Ansprachen redete. Jene 
zarte Weichheit des Gefühls, die so 
manchem seiner Vorgänger eigen, zeigte 
Die lehte Unterschrift Kaiser Wihelms 1. sich in ihnen und vertrug sich zugleich 
In Gröhe des bei den Akten des Relchsloges besinollchen wunderbar mit der oft gepriesenen 
Origlnales. Sicherheit des Entschlusses. Und dessen 
war der Kaiser auch bei der Auf- 
gabe lieb gewordener Anschauungen eben darum so gewiß, weil er in all 
seinen Geschicken den Willen der göttlichen Vorsehung erkannte, die ihn nur als 
ihr Werkzeug auserkoren habe. Daher auch seine schlichte Demut, seine tiesfe 
innerliche Frömmigkeit, die gerade, weil sie auf dem festen Grunde des Glaubens 
ruhte, allen Schein und alle Heuchelei in der Bethätigung des religiösen Sinnes ver- 
achtete. Er war es, der die Erneuerung des religiösen Lebens begründete, er 
war es, der durch seine Person der neuen Verfassung Preußens wie Deutschlands 
Gestalt und Wesen gab, der den Wünschen der Zeit nach einer Teilnahme des 
Volkes an Gesetzgebung und Verwaltung und zugleich auch dem tiefen monarchischen 
Gesähle seines Volkes gerecht wurde, der allezeit der selbst regierende Herrscher 
Er, der ursprünglich nur Soldat war und sein wollte, zeigte sich jeder 
Aufgabe gewachsen, arbeitete sich gewissenhaft ein in alle Gebiete der menschlichen 
Kultur, wirkte auf viele anregend und bestimmend, und er, der viel bewunderte 
Kriegsheld, endlich war es, der der zuverlässigste Friedensfürst wurde. 
Von Strömen der Liebe dahingetragen, gelangte so Wilhelm der Große 
in ein Alter hinein weit über das Maß menschlichen Lebens hinaus, und 
doch noch war es allzufrühe, als nun auch diesem begnadigten Leben das Ziel 
gesetzt wurde.
	        
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