130 K. Th. von Eheberg, Steuerreformen.
ziehenden Wandelungen im Wirtschaftsleben und andere Umstände bürgen dafür, dass auch die
Zukunft sich eingehend mit Problemen des Steuerwesens wird beschäftigen müssen. Selbst in den-
jenigen Ländern, welche sich der grössten Fortschritte rühmen dürfen, kann und wird das Um- und
Weiterbilden nicht zum Stillstande kommen. Dafür sorgt schon das Anwachsen des Staatsbedarfes.
Wir werden uns weiter in der Richtung wachsender Ausgaben für öffentliche Zwecke bewegen. Es
hat nicht den Anschein, als ob die Völker auf das Waffenkleid, das sie zum Schutze ihrer Unab-
hängigkeit, zur Wahrung ihrer wirklichen oder vermeintlichen Interessen in der Weltpolitik angelegt
haben, verzichten wollten. Wir werden auch in der Zukunft steigende Ausgaben für Heer und Flotte
zu verzeichnen haben. Aber auch die innere Verwaltung, die schon seit den letzten Jahrzehnten
an der Steigerung der Ausgaben relativ in stärkerem Masse beteiligt war als die Land- und Seemacht,
wird wachsende Anforderungen an das Budget stellen. Es ist dies so häufig und überzeugend nach-
gewiesen worden, dass es des Beweises nicht bedarf. Der Schuldendienst wird gleichfalls mit zu-
nehmenden Ziffern zu rechnen haben. Selbst wenn den Staaten kriegerische Ereignisse erspart
bleiben und in der Aufnahme von Schulden grössere Zurückhaltung beobachtet wird, werden doch
neue Schulden unvermeidlich sein. Wird vollends, wie es den Anschein hat, das da und dort ver-
nachlässigte Tilgen von Schulden wieder energischer in die Hand genommen, so wird auch dies zu
einer stärkeren Inanspruchnahme von Steuerleistungen Veranlassung geben. Die Erfahrung hat
bisher gezeigt, dass dieses Anwachsen des Staatsbedarfes aus der Vermehrung des Wohlstandes allein
bei gleich bleibenden Steuersätzen keine Deckung findet, dass vielmehr ohne Steigerung der Steuer-
sätze und unter Umständen ohne Erweiterung des Steuersystems nicht wird auszukommen sein,
Wird nun schon bei jeder Steuererhöhung im staatlichen Finanzwesen eine erneute Prüfung des
ganzen Steuersystems oder wenigstens der Steuersätze sich aufdrängen, so wird diese um so not-
wendiger werden, je mehr auch die Gemeinden und höheren Kommunalkörper, konkurrierend mit
dem Staate, steigende Ansprüche an die Steuerkraft ihrer Mitglieder erheben. Ist vullend3, wie im
Deutschen Reich, noch ein dritter und so ungenügsamer Bewerber um finanzielle Mittel vorhanden,
so werden Steuerreformen und Reformbewegungen nicht von der Tagesordnung verschwinden.
Es dürfte deshalb angezeigt sein, im Folgenden vom Standpunkte der Wissenschaft aus die Frage zu
erörtern, auf welchem Wege und in welcher Richtung sich die Steuerreformen der nächsten Zeit,
insbesondere in Deutschland, bewegen werden und sollen. Dabei ist zunächst die Vorfrage zu er-
ledigen, welche Forderungen die Wissenschaft an ein rationelles Steuerwesen stellt und inwieweit
das Steuerwesen heute schon diesen Ansprüchen genügt.
Seit den Tagen von Justi und A. Smith hat man in der Finanzwirtschaft sich bemüht, all-
gemeine Grundsätze aufzustellen, die für die Ausgestaltung des Steuersystems massgebend sein
sollten. Heute fordert die Wissenschaft übereinstimmend, 1. dass das Steuersystem so eingerichtet
sei, dass es den Bedarf des Staates zu decken und auch dem Anwachısen des Staatsbedarfes zu ge-
nügen vermöge, 2. dass keiner, der überhaupt etwas zu leisten in der Lage sei, von den Steuern
befreit werde, 3. dass die Steuern möglichst gerecht und gleichmässig auf die Pflichtigen verteilt,
4. dass Erschwerungen und Belästigungen des Wirtschaftslebens nach Tunlichkeit vermieden und
5. Erhebung und Veranlagung zweckentsprechend geordnet werden. Vom Standpunkte der Finanz-
verwaltung ist der erste Grundsatz der wichtigste. Aber er wird sich nur dann gebieterisch und ohne
Rücksicht auf die anderen Grundsätze durchsetzen dürfen und können, wenn ausserordentliche
Notlagen den Staat zwingen, jedes Opfer von seinen Untertanen zu fordern, das geeignet ıst über
Tage des Unglücks hinwegzuhelfen. In normalen Zeiten wird dagegen mehr die Rücksichtnahme
auf die anderen Grundsätze den Gang der Steuerreformen bestimmen, und unter diesen hat sich
seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts immer mehr die Frage in den Vordergrund geschoben,
wie die Besteuerung auszugestalten sei, damit sie gerecht und gleichmässig sei. Da diesem Problem
ein eigener Abschnitt in diesem Handbuch gewidmet ist, so darf an dieser Stelle nicht ausführlicher
darauf eingegangen werden. \Veil aber alle Steuerreform von der Stellung zu diesem Problem
bedingt ist, so können wir nicht umhin, unseren Standpunkt in aller Kürze zu präzisieren.
Dass die Frage der gerechten Steuerverteilung in den letzten Jahrzehnten der Angelpunkt
der meisten Steuerreformen gewesen ist, hängt in erster Linie mitdem gesteigerten sozialen Empfinden
der Gegenwart zusammen. Die Forderung der austeilenden Gerechtigkeit, die bis weit in dıe Kreise