Full text: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden. Jahrgang 1906. (38)

XXIX. 273 
Zugleich aber und vor allem soll er die in der Kindesseele schlummernden geistigen, sitt- 
lichen und religiösen Kräfte wecken und zu möglichst reicher Entfaltung bringen. 
8 21. 
Diese Weckung und Entfaltung der Kräfte wird nur da in vollem Maße erreicht, wo 
die Schüler mit lebendigem Interesse für den Unterricht erfüllt und zum selbsttätigen Mit- 
streben und Mitarbeiten angeregt werden. 
Die Erziehung der Schüler zur Lernfreudigkeit und zur freien geistigen Selbstbetätigung 
muß sonach das nächste Ziel alles Unterrichts sein. 
8 22 
Der Lehrer wird sich demgemäß bemühen, den Unterricht möglichst lebendig und fesselnd 
zu erteilen, ihn durchweg auf die Anschauung zu gründen und überall den Entwickelungs- 
gesetzen der Kindesnatur entsprechend zu gestalten. 
Auch bei der Wiederholung und Befestigung wird er geistbildend verfahren und jeden 
Drill sorgfältig meiden. 
8 23. 
Der Lehrer wird sodann nach dem in § 21 genannten Zwecke auch seine Lehrform ein- 
richten. 
Der ausschließliche Wechsel von Frage und Antwort ist in hohem Grade bedenklich, weil 
er zwar einen logischen Fortgang des Unterrichts gewährleistet, eine freie und freudige Selbst- 
betätigung der Kinder dagegen nicht recht aufkommen läßt. 
Die in den Volksschulen herrschende abfragende Lehrform ist deshalb in der Weise zu ergänzen, 
daß die Schüler Zeit finden, selbsttätig zu denken, und daß sie angeregt werden, ihre eigenen 
Gedanken freimütig auszusprechen sowie im Falle des Zweifels und der Unsicherheit sich uner- 
schrocken mit Fragen an den Lehrer zu wenden. 
8 24. 
Die Schüler ihrerseits müssen zunächst selber die Ziele kennen, zu denen sie hingeleitet 
werden sollen. 
Wird ihnen von vornherein klar gemacht, wie ein bestimmtes Unterrichtsziel im einzelnen 
beschaffen sein muß und was zu einer musterhaften Schülerleistung gehört, so erwacht ihr 
Interesse für dieses Ziel und zugleich die Neigung, zu seiner Erreichung aus sich heraus mit— 
zuarbeiten. 
8 26. 
Die Schüler sollen ferner so oft als möglich veranlaßt werden, sich zusammenhängend 
auszusprechen. Gelegenheit dazu bieten alle Schuljahre und fast alle Unterrichtsgegenstände. 
Nichts regt die Selbsttätigkeit des Kindes mehr an als die zusammenhängende mündliche 
Darstellung, das freie Erzählen. Auch für den Aufsatzunterricht, der wesentlich infolge der 
Ungeübtheit im mündlichen Ausdruck so oft zu wünschen übrig läßt, ergeben sich hieraus die 
erfreulichsten Folgen.
	        
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