Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 41
Dekrete als Mittel derselben bezeichnet, um die bayerische Verfassung in ihrem
Sinne zu verstümmeln. Hieraus wird gefolgert, daß das Verlangen der Bi-
schöfe nach staatlicher Hilfe zum Vollzuge jener Dekrete nichts Anderes sei, als
die Zumuthung von Verfassungsverletzungen an das Staatsministerium. So-
dann wird gezeigt, daß durch die Concilsbeschlüsse hinsichtlich der päpstlichen
Unfehlbarkeit und hinsichtlich der unmittelbaren Jurisdiktionsgewalt des Papstes
über jede Kirche und jeden Gläubigen eine ganz neue Ordnung der Dinge in
der katholischen Kirche begründet worden sei. Die katholische Kirche sei aber
nur nach ihrer bisherigen Verfassung und Lehre durch die bayerische Verfas-
sungsurkunde anerkannt und habe nur nach Maßgabe dieses bisherigen Zu-
standes ein Recht auf freie Ordnung der inneren Kirchenangelegenheiten und
auf den Schugtz der Staatsgewalt. Wenn daher Angehörige der katholischen
Kirche die neuen, für den bayerischen Staat rechtlich nicht existirenden Kirchen-
gesetze nicht anerkännten, so könnten dieselben unmöglich ihrer bisherigen Rechte
von der Staatsgewalt beraubt werden. Die k. Staatsregierung habe folglich
durch die Belassung der Altkatholiken zu Mering und des Pfarrers Renftle
in ihren bisherigen Nechten bezüglich der Kirche und des Kirchenvermögens
eine Verletzung der Verfassung nicht begangen. Aus vorstehenden Gründen
folgert schließlich das Gutachten, daß der Beschwerde des Bischofs und seinem
Verlangen nach Wiederherstellung des angeblichen Rechts der Kirche innerhalb
der Pfarrei Mering nicht stattgegeben werden könne. Denn die Staatsregie-
rung würde damit eine Exekution an sich selbst und an den verfassungstreuen
Staatsbürgern vornehmen und anerkennen müssen, daß ein Theil der bayeri-
schen Verfassung gar nicht zu Recht bestehe. Sie könne dies aber um so we-
niger, als selbst beim Mangel ausdrücklicher Gesetzesbestimmungen bezüglich
des staatlichen Oberaufsichtsrechts und Placets der Staat der Kirche nicht eine
unbedingte Autonomie einräumen könne, sondern immer sich selbst die höchste
gesetzgeberische Gewalt und die Entscheidung darüber vorbehalten müsse, ob die
Gesetze der Kirche mit der staatlichen Ordnung verträglich seien oder nicht.
In der Debatte ergreift zuerst der Abg. Jörg, der Führer der ultra-
montanen Partei, das Wort, um seine Angriffe gegen den Cultusminister
v. Lutz, wie seiner Zeit gegen den damaligen Ministerpräs. Fürst Hohenlohe
zu richten. „Was wollen wir, wenn wir zu der vorliegenden Beschwerde „ja“
sagen? Wir wollen das Staatsministerium nicht zu einer anderen Gesinnung
gegen uns bekehren, sondern wir wollen die Staatsregierung einfach zurück-
rufen auf den unparteiischen Standpunkt des positiven Rechtes, den sie nicht
hätte verlassen sollen, den sie wieder hätte annehmen sollen, nachdem der ei-
gentliche Ursächer der Verwirrung, Fürst Hohenlohe, nicht mehr Minister war.
Die Staatsregierung hat einen Fehler gemacht, indem sie sagte: diese Lehre
ist keine bloße Glaubenslehre, sie hat staatliche Consequenzen an sich, sie kann
hinübergreifen auf's politische Gebiet und in die bürgerliche Ordnung. Es
mag sein, daß alle Cabinete diese Meinung haben, aber überall war man so
klug und hat gewartet, bis dieser Verdacht sich bestätige; nur bei uns in
Bayern hat man gesagt: die Definition Über die Kathedral = Entscheidung ist
staatsgefährlich. Der Hr. Cultusminister ist der liberalen Partei vollkommen in
die Hände gefallen, und es war von nun an geradezu eine Lebensfrage für ihn,
den Beweis für die Staatsgefährlichkeit des Dogma's zu liefern. Freilich,
wenn man sich einen Popanz in den Kopf macht, wenn man das abscheuliche
Schlagwort „Papstgott“ anwendet, dann ist man vor Aberglauben und Unfinn
nicht sicher. Was die Staatsgefährlichkeit betrifft, so will ich, obgleich ich da-
mit auf ein dankbares Ende verzichte, darauf nicht näher eingehen. Nur
Eines will ich sagen: Zu unseren Lebzeiten ist eine ganze Reihe von selbst-
ständigen Staaten aus der Landkarte verschwunden, von Übermächtiger Gewalt
ausgetilgt und verschlungen; auch der Glanz der bayerischen Krone strahlt
nicht mehr so helle, wie vordem, auch der bayerische Thron ist um einige
Stufen niedriger gestellt worden. Hat das die katholische Kirche gethan?