Object: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

Das Dentsqhe Reiqh und seine einzelnen Glieder. (September 18.) 349 
Wiederholungsfall die Voraussetzungen des Ausschlusses gegeben wären, 
zum Beschluß des Parteitages zu erheben. Darüber herrscht große Er- 
regung. Die Süddeutschen verlangen Vertagung und verlassen, als das 
abgelehnt wird, den Saal. Nach erregter Debatte wird in Abwesenheit der 
Süddeutschen der Antrag mit 228 gegen 64 Stimmen angenommen. 
Es folgen zwei Resolutionen über die Fleischnot, eine Resolution 
über die elsässische Verfassungsfrage und eine über die preußische Wahl- 
rechtsvorlage. Letztere wird mit knapper Mehrheit angenommen, nachdem 
die Antragstellerin Rosa Luxemburg den zweiten Teil, der mit politischem 
Massenstreik drohte, zurückgezogen hatte. Dabei verliest Simbert-Essen 
einen Auszug aus einem Zirkular des 1908 verabschiedeten, kommandieren- 
den Generals Frhr. v. Bissing: „Die ersten Maßregeln, die gleichzeitig mit 
der Bekanntmachung des Belagerungszustandes ergriffen werden müssen, 
sind die Unterdrückung aller aufrührerische Tendenzen verfolgenden Blätter 
und die Verhaftung der Redakteure, sowie überhaupt aller als Führer und 
Agitatoren bekannten Personen ohne Rücksicht auf die Immunität der 
Reichstagsabgeordneten. Die Festnahme dieser Personen wird vielleicht 
noch von der Polizei durchgeführt werden können, wahrscheinlich wird sie 
#um mindesten durch Militär gedeckt werden müssen. Jedenfalls müssen 
te Festgenommenen der Militärbehörde übergeben und von dieser sobald 
als möglich in Sicherheit gebracht werden. Alle Versammlungen werden 
verboten. Gerade beim Beginn aufrührerischer Bewegungen müssen alle 
Versuche zur Widersetzlichkeit im Keime erstickt werden. Nichts ist gefähr- 
licher wie zögernde Maßnahmen. Abwarten bringt auch den Geist der 
besten Truppe ins Wanken, während Angriff und Kampf ihre Gesinnung 
befestigt.“ Es folgen weitere Vorschriften zur Sicherung der Truppen- 
transporte. Es heißt da: „Für den Fall eines Eisenbahnerausstandes sind 
Vorkehrungen bereits getroffen.“ Für die Verwendung der Truppen im 
Straßenkampf gelten folgende Bestimmungen: „Infanterie soll zusammen 
mit Kavallerie vorgehen. Ein frontaler Sturm auf Barrikaden ohne nach- 
drückliche Vorbereitung durch Artillerie soll vermieden werden, weil er sehr 
oft fehlschlägt. Infanterie soll schrittweise vordringen, und zwar durch 
die Häuser nach Einschlagen der Wände, durch Höfe, Gärten und über die 
Dächer. Beim Marsch in den Straßen ist es zweckmäßig, in Kolonnen 
auf beiden Seiten der Straße zu marschieren. Gewandte Schützen sind 
vorzunehmen, um nötigenfalls das Feuer aus den Fenstern wirksam er- 
widern zu können. Maschinengewehr und Artillerie sind stets zugweise, 
etwa jedem Bataillon ein Zug, zuzuteilen.“ Ferner folgen Vorschriften 
über die Ausrüstung der Pioniere mit Sprengstoffen. 
Am letzten Verhandlungstage waren die süddeutschen Genossen wieder 
erschienen, und der Vorsitzende Dietz konnte seine „Freude über die wirklich 
vollzogene Einigung von Nord und Süd unseres Vaterlandes“ konstatieren. 
Zu den Anweisungen für den Belagerungszustand des Generals a. D. 
v. Bissing bringt der „Vorwärts"“ nachträglich als Ergänzung den Schluß- 
passus: „Unter keinen Umständen dürfen höhere oder niedere Befehlshaber 
auf Unterhandlungen mit Ausständischen eingehen, es gibt nur eine Be- 
dingung: Unterwerfung auf Gnade oder Ungnade. Eroberte Stadtteile 
sind genau abzusuchen, Gefangene sofort nach auswärts abzuschieben, falls sie 
nicht sofort an Ort und Stelle vor die Kriegsgerichte gestellt werden. Alle 
Rädelsführer oder wer mit den Waffen in der Hand gefangen wird, sind dem 
Tode verfallen. Die volle Strenge des Gesetzes ist unbarmherzig anzuwenden.“ 
18. September. Der Bund deutscher Redakteure erhebt Be- 
schwerde beim Minister des Innern wegen der in der Stolper 
 
	        
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