88 Has Veuische Reich und seine einjfelnen Glieder. (Juni 27.— Juli 1.)
teiligten Regierungen gepflogenen Erörterungen diese Erklärung dahin er-
gänzen, daß es in der Absicht dieser Regierungen liegt, die Beseitigung des
durch das Verbot geschaffenen Rechtszustandes herbeizuführen. Geschieht
dies aber — und ich zweifle nicht daran, daß es geschehen wird —, so wird
es in Zukunft auch in den gegenwärtig noch unter dem Verbot stehenden
Staaten zulässig sein, daß die politischen Vereine unter einander in Ver-
bindung treten, und zwar wird dieser Erfolg unter allen Umständen früher
eintreten, als dies durch eine Aufnahme des Antrags Auer in das Bürger-
liche Gesetzbuch der Fall sein würde, weil das letztere erst mit dem Beginn
des nächsten Jahrhunderts in Geltung gesetzt werden soll.
Abg. Lieber (3.) spricht gegen den Antrag, ebenso die Abgg v.
Stumm und Manteuffel, die erklären, daß die Reichspartei und die
Konservativen im Falle der Annahme des Antrages gegen das Bürgerliche
Gesetzbuch stimmen würden. Der Antrag wird hierauf abgelehnt und das
Einführungsgesetz in zweiter Lesung angenommen.
27. Juni. (Preußen.) Wechsel im Handelsministerium.
Der Handelsminister Frhr. v. Berlepsch tritt zurück und der Unter-
staatssekr. Brefeld wird zu seinem Nachfolger ernannt. — Der Rücktritt
des Ministers war in der Presse schon vor Monaten angekündigt und wider-
rufen worden. Der Rücktritt wird vielfach damit motiviert, daß seine
sozialpolitischen Anschauungen von denen der Mehrheit der Volksvertretung
abwichen. Die konservativen, mittelparteilichen und freifinnigen Blätter
begrüßen den Wechsel mit Genugthuung.
29. Juni. Prinz Ludwig von Bayern besucht den Kaiser
in Kiel. Die Reise des Prinzen wird in der Presse mit der Mos-
kauer Rede des Prinzen in Verbindung gebracht (S. 79).
30. Juni. (Metz.) Explosion in einem Artilleriedepot, wobei
mehrere Personen getötet werden.
30. Juni. 1. Juli. (Reichstag.) Dritte Beratung des
Bürgerlichen Gesetzbuches und Annahme. Hasenschaden; Geistes-
krankheit als Ehescheidungsgrund; Resolutionen.
Abg. Kauffmann (fr. Vp.): Die freisinnige Volkspartei sei für
eine Vertagung der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingetreten; nach-
dem diese jedoch abgelehnt worden sei, habe sie eifrig versucht, einzelne Be-
stimmungen, besonders die über das Vereinswesen zu verbessern. In dritter
Lesung werde sich die Partei auf die Zulassung der Geisteskrankheit als
Ehescheidungsgrund beschränken. Davon abgesehen, werde sie für das Bür-
gerliche Gesetzbuch im ganzen stimmen. Abg. v. Kardorff (RP.) tadelt
die Angriffe der Presse gegen die angeblich zu schnelle Beratung des Gesetz-
buches. Es sei wichtig gewesen, die Plenarberatung unmittelbar der Kom-
missionsberatung folgen zu lassen; jene habe unter steigender Beteiligung
der Abgeordneten stattgefunden. Abg. Stadthagen (Soz.): Seine Partei
habe intensiv an der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches teilgenommen,
auch für die Arbeiter sei es dringend notwendig, ein einheitliches Recht zu
schaffen. Leider seien von den sozialdemokratischen Anträgen nur wenige
angenommen worden, so daß die Einheit des Rechts meist da ausgeschlossen
sei, wo Arbeiterverhältnisse in Betracht kamen. Für den Arbeiter existiere
das Deutsche Reich nicht, für sie habe man nur Strafbestimmungen. Das
Bürgerliche Gesetzbuch sei ein Klassengesetzbuch, weshalb seine Partei da-