Object: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

994 Il.Buch. 11I. Abschn. Subjektives Recht u. Friedensordnung. 
Damit ist natürlich ebensowenig wie beim Notwehrhandeln 
gesagt, die Ausübung der Befugnis sei eine Rechtshandlung, und 
wie bei der Notwehr kommt es auf Geschäftsfähigkeit und 
Geschäftsunfähigkeit nicht an; auch wird die unbewußte Not- 
standshandlung ebenso berücksichtigt wie diebewußte. Hier, wie 
bei jedem Notstandshandeln, ist allerdings eine Entschädigungs- 
pflicht begründet, sie ergibt sich unabweislich aus der Rechts- 
ähnlichkeit von 8 904; aber diese Entschädigungspflicht beruht 
nicht auf dem Gedanken des Deliktes: die Entschädigungsfrage 
ist dieselbe für den Zurechnungsfähigen wie für den Unzu- 
rechnungsfähigen: auch der Unzurechnungsfähige ist in der- 
selben Weise verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, wie der Zu- 
rechnungsfähige, während sonst die Entschädigungspflicht eines 
Unverantwortlichen nur nach $ 829 B.G.B. gegeben wäre. 
Und wenn ich für einen Dritten ein Notstandshandeln vor- 
nehme, so haftet er, nicht ich. 
Eines ist hier allerdings bedeutungsvoll, daß nämlich hier 
die Befugnis des einen die Befugnis des anderen nicht aus- 
schließt. Wenn ich mich in der Not gegen X wende, um 
mich zu retten, so kann die Rechtsordnung mir die Befugnis 
geben, ihn zu töten; sie gibt aber zu gleicher Zeit auch dem 
X. die Befugnis, sich zu wehren und nötigenfalls mich zu 
töten. Es sind mit anderen Worten zwei einander wider- 
sprechende Befugnisse vorhanden, wobei eben derjenige „Recht“ 
behält, der in facto gewinnt; denn die Rechtsordnung hat 
keinen Grund, in solchen Notfällen den einen besser zu be- 
handeln als den anderen. Es gilt das gleiche, wie in manchen 
anderen Fällen: der Besitz, d. h. hier der Erfolg entscheidet. 
Daß hier keine unerlaubte Handlung vorliegt, hat auch 
noch folgende Konsequenzen: die Entschädigungspflicht beruht 
nicht auf einem Deliktsanspruch; mehrere, die sich auf solche 
Weise gerettet haben, haften nicht als Gesamtschuldner, das 
forum delieti ist nicht gegeben; ob die Verjährung des $ 852 
gilt, ist später zu erörtern. 
II. Neben diesem strafrechtlichen Notstand besteht 2. ein 
zivilrechtlicher Notstand. Dies war schon nach dem alten 
Rechte anzunehmen, wie ich es schon seit Jahren in meinen 
Vorlesungen gelehrt habe; denn es muß als selbstverständlich 
betrachtet werden, daß, wenn ich ein hohes Gut retten kann
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.