256 Fünftes und Schlusskapitel.
Dagegen sind tiber diese schützenden Formen hinaus-
gehende Schranken der verfassungsgebenden Gewalt des
Reiches nicht gesetzt.
Eine Beschränkung des Rechtes der Initiative für
Verfassungsänderungen findet nicht statt. Mochte eine strenge
Interpretation des Artikel 78 der Reichsverfassung in seinem
Verhältniss zu Artikel 23 es bezweifeln”, ob der Reichstag
befugt sei, verfassungsändernde Gesetze ausserhalb der Kom-
petenz oder über die Kompetenz des Reiches vorzuschlagen,
so ist dem Zweifel eine vielfältige Praxis des Reichstages ent-
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handelsgericht. e Hier l.egt denn allerdings eine Verfassungsänderunz vor,
aber es ist gleichzeitig ausser Zweifel, dass nicht der gesammte Inhalt des
Gesetzes in der Absicht verfassungsgesetzlicher Bestimmungen gegeben ist.
Das Gesetz ist gleichzeitig Verfassungszesetz und einfaches Ausführungsee-
setz. Wo aber liezt die Grenze beider? Niemand vermag es zu sagen.
Gewiss wird die Institution als solche durch ein einfaches Gesetz nicht besei-
tigt werden können. Aber ist auch der Umfang der Kompetenz de3 Gerichts-
hLofes, sind auch die Garantien seiner Unabhängigkeit verfassun.zsgesetzliche ?
Die Unsachlichkeit einer äussern Vermischung verfassungsgesetzlicher Be-
stimmungen, mit einfach gesetzlichen tritt hier in ihrer ganzen Schärfe hervor.
Aber sie berechtigt nicht zu der Limitation des Artikel 78, die Thudichum
vornimmt.
7 Die Schwierigkeit liegt in den Worten des Art. 23: „Der Reichstag
hat dasRecht, innerhalb der Kompetenz des Reichs Gesetze vor-
zuschlagen.“ Die volle Initiative des Reichstages nöthigt zu einer Interpre-
tation, welche die unterstrichenen Worte als vollkommen bedeutungslos hin-
stell. Diesem nicht unbedenklichen Ergebniss wich man mit der Annahme
aus, dass Artikel 78 zwar die Kompetenz der Reichsgesetzgebung zu Verfas-
sungsänderungen feststelle, dass aber die hiervon verschiedene Frage nach
dem Initiativrechbt der einzelnen legislativen Faktoren durch Art. ?
für den Bundesrath unbeschränkt, für den Reichstag durch a. 23 beschränkt
auf diegegenwärtigen Kompetenzen beantwortet werde, Ganzunhaltbar
ist die vermittelnde Meinung, welche aus a. 23 deduzirt, der Reichstag könne
zwar keine kompetenzerweiternden Gesetze, wohl aber einen Zusatz zu a. 4
auf Kompetenzerweiterung vorschlagen. von Rönne, Verfassungsrecht
pag. 54. Römer in der 2. Session des Reichstages von 1871, Sten. Ber.
pag. 180. Denn misst man den Worten des a. 23: „innerhalb der Kompetenz
des Reiches* überhaupt irgend welche Bedeutung bei, so können sie niemals,
auch nicht in Verbindung mit a: 78 bedeuten: zum Zwecke der Erweiterung
der Kompetenz.