wunden und eine fortdauernde persönliche Fühlung mit dem Fürsten
in Friedrichsruh gesucht und unterhalten hätte. Dem aber stand
mehr noch als die harten Umstände, unter denen der Kaiser die
Trennung vom Fürsten Bismarck vollzogen hatte, wieder sein ganzes
militärisches Fühlen und Denken entgegen. Die meisten Generale
werden, wenn sie von ihrem eigensten Bezirk auf das politische Ge-
biet geraten, leicht versucht sein, der strengen Abgrenzung der Zu-
ständigkeiten, dem Einordnen aller Aufgaben in Fächer und Kasten,
mehr Wert beizumessen als der Kunst der Menschenbehandlung.
Jedenfalls war Caprivi von vornherein tief davon durchdrungen,
daß er sein schweres Amt ganz aus eigener Kraft führen müsse
und keine Art von Nebenregierung aufkommen lassen dürfe. Dem
geschmeidigeren Diplomaten Fürsten Hohenlohe ward es leichter,
ein persönliches Verhältnis mit dem Fürsten Biemarck herzustellen.
Ganz ungetrübt blieb aber auch dieses Verhältnis nicht. Schon
die fortgesetzten Friedrichsruher Angriffe auf Bötticher, Marschall
und Berlepsch setzten den neuen Kanzler in Verlegenheit. Während
er sich bemühte, die agrarische Flut einzudämmen, bekam sie vom
Fürsten Bismarck neuen Druck, und als im Juni 1895 das Wort
von den Drohnen und Klebern gegenüber Vertretern des Bundes
der Landwirte fiel, und selbst die Ministerfrauen nicht geschont
wurden, war Fürst Hohenlohe fast auf demselben Punkt ange-
kommen, wo Caprivi stand.
Über die Formfrage wegen des ersten Schrittes half die schwere
Erkrankung Bismarcks in Kissingen im Sommer 1893 hinweg.
Hochherzigkeit belohnt sich selbst. Mit dem freien Entschlusse des
Kaisers, in der Günser Depesche seine Teilnahme und seine Freude
über die Besserung auszusprechen, war eine Anregung des Grafen
Caprivi zusammengetroffen. Wenn auch der erste Schritt keine
innerliche Aussöhnung bringen konnte, so blieb doch eine mildernde
Wirkung nicht aus. Nur einmal noch schlugen helle Flammen aus
der verglimmenden Asche, im Öktober 1896, nach der Enthüllung
der Hamburger Nachrichten über den deutsch-russischen Rückver-
sicherungsvertrag, als Caprivi schon seit zwei Jahren ein stiller
Mann geworden war.
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