Full text: Um den Kaiser.

aller Art zu raten. Der Kaiser nahm die Mahnung freundlich auf. 
Mais c'était plus fort que lui. Bald darauf kündigte er einen 
für den Juni in Aussicht genommenen intimen Besuch bei dem 
Kaiser Franz Joseph in Schönbrunn ohne Vorwissen seiner nächsten 
amtlichen Berater an. Über diese neue Plötzlichkeit zeigte sich in 
Wien mehr Verlegenheit als Freude, und bei der Koalition der 
Linken in Ungarn steigerte sich Argwohn beinahe zu offener Feind- 
seligkeit. Deshalb und vielleicht auch infolge des am 31. Mai 
beim Hochzeitstag des Königs Alfons in Madrid verübten Bomben= 
anschlages stiegen dem Kaiser selbst Bedenken gegen die Wiener 
Reise auf. Der Botschafter Graf Wedel in Wien wurde zwei Tage 
vor dem Besuchstermin (6. Juni) gefragt und meldete, daß eine Ab- 
sage im letzten Augenblick ungeheueres Aufsehen machen würde und 
daß auch keine Demonstrationen zu erwarten wären. Der Kanzler 
empfahl dem Kaiser schriftlich eine geschickte Sprache in Schön- 
brunn, keine Ausbrüche gegen Italien oder Rußland, wohl aber 
Bereitwilligkeit zur Besserung des Verhältnisses zu England. 
In der Tat kam es vor allem darauf an, mit England wie- 
der auf einen freundlicheren Fuß zu kommen. Nach Beendigung 
des großen Marokkostreites konnte man auf bessere Erfolge der 
Annäherungsbestrebungen in beiden Völkern hoffen, als den früheren 
beschieden waren. Seit Ende loos war in England ein liberales 
Kabinett unter Campbell-Bannerman am Ruder. Blieb auch die 
Ententepolitik die gleiche wie früher, so waren doch von den neuen 
Männern Grey, Adquith, Haldane, Aoyd George nicht so scharfe 
Töne zu erwarten, als die Unionisten Balfour und Lansdowne noch 
kurz vor ihrem Rücktritt in Bankettreden angeschlagen hatten. Bei 
Lansdowne hieß es, England sei von Zeit zu Zeit durch den Umstand 
behindert worden, daß es sich in verschiedenen Teilen der Welt Riva- 
litäten gegenüber befunden habe, die für niemand anders von Vorteil 
sein könnten als für einen verschlagenen Monarchen, der es verstehe, 
sie auszunutzen. Balfour sagte, er glaube nicht an einen künftigen 
Krieg, sofern nicht Völker oder Staatsoberhäupter ihn herbeiführ- 
ten, die ihre nationalen Ausdehnungspläne nur dadurch verwirklichen 
zu können glaubten, daß sie die Rechte ihrer Nachbarn mit Füßen 
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