Full text: Um den Kaiser.

Kreuzzeitung, daß an das preußische Klassenwahlsystem trotz seiner 
Mängel nicht gerührt werden dürfe. Ohne sie war eine schleunige 
Behandlung der preußischen Wahlreform schon deshalb ausgeschlos- 
sen, weil die laufende Legislaturperiode des Landtags im kommenden 
Frühjahr zu Ende ging und bis dahin eine ernsthafte Wahlreform 
überhaupt nicht erledigt werden konnte. Bei dem Vortrage des Für- 
sten Bülow in Wilhelmshöhe (August 1907) zeigte sich der Kaiser 
über die in der Presse der Linken breit erörterte Forderung einer 
Liberalisierung Preußens sehr erregt, und der Kanzler hatte Mühe, 
ihn im Interesse der Blockpolitik von schnellen Entschlüssen abzu- 
halten. Erst nach Jahr und Tag war es so weit, daß die Thron- 
rede zur Eröffnung des Landtags verkündete: „Es ist mein Wille, 
daß die Vorschriften über das Wahlrecht zum Hause der Abgeord- 
neten eine organische Fortentwicklung erfahren, welche der wirt- 
schaftlichen Entwicklung, der Ausbreitung der Bildung und des poli- 
tischen Versiändnisses sowie der Erstarkung staatlichen Verant- 
wortlichkeitsgefühls entspricht. Ich erblicke darin eine der wichtig- 
sten Aufgaben der Gegenwart.“ Der Widerstand der Konservativen 
erwies sich stärker als der königliche Wille, selbst in dem von der 
Thronrede gezogenen engen Rahmen kam keine Reform zustande, 
bio der 9. November 1913 eine über alles vorher für möglich ge- 
haltene weit hinausgehende Radikalisierung Preußens brachte. 
Die praktische Arbeit, die der Block in dem Wintersemester 
190 7/8 leisten sollte, begann mit einer Blockkrisis. Der Kanzler 
hatte beim Beginn der Generaldebatte über den Reichöhaushalt die 
Mehrheitsparteien dringend zur Verträglichkeit und zur Vorsicht, 
„namentlich im Anfang“, aufgefordert. Statt dessen kam es un- 
mittelbar darauf zu heftigem Aufeinanderprallen liberalen und kon- 
servativen Geistes, erst wegen der Streitfrage, ob direkte Reichs- 
steuern eingeführt werden sollten, dann wegen des Entwurfes eines 
Vereinsgesetzes, den ein Abgeordneter der Linken als einen Schlag 
ins Gesicht des Freisinns bezeichnete, endlich nach einer Aufsehen 
erregenden Rede des nationalliberalen Abgeordneten Paasche, die 
sich unter Angriffen auf den Kriegsminister v. Einem mit den im 
Zusammenhang mit dem Prozeß Moltke-Harden enthüllten sittlichen 
28
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.