Full text: Um den Kaiser.

wider sei. Mit verdoppeltem Eifer suchte er auf Reisen nach London 
und Paris und dann auch nach Berlin (am 28. Oktober, dem Tage 
der Veröffentlichung des Daily Telegraph-Artikels) eine Konferenz 
zur Revision des Berliner Vertrages ins Werk zu setzen. Es war 
klar, daß keine der am Berliner Vertrage beteiligten Großmächte 
eine prinzipiell ablehnende Haltung gegen den Konferenzvorschlag 
einnehmen konnte, das Vertragsrecht war verletzt, in erster Linie 
zum Schaden der Türkei, und konnte nur im Wege des consensus 
omnium gewahrt werden. Jeder Versuch aber, ein Programm 
aufzustellen, stieß auf eine Vielheit sich kreuzender Interessen. 
Nachdem die Annerion einmal vollzogen war, konnte sie ohne 
Demütigung der Großmacht an der Donau nicht mehr zur Erörterung 
gestellt werden. Die größte Gefahr für den Frieden drohte von Serbien. 
Der Traum eines Großserbien, das den größten Teil Bosniens und 
der Herzegowina umschlösse, schien durch die formelle Angliederung 
an Österreich-Ungarn für immer zerstört zu sein. Dabei mußten die 
Serben noch zusehen, wie ihre alten Gegner, die Bulgaren, ihr 
Land nebst dem von ihnen besetzten, ehemals türkischen Ostrumelien 
in ein unabhängiges Königreich verwandelten. 
Die Erhitzung der serbischen Volksleidenschaften siieg in dem- 
selben Grade, in dem in Rußland die Opposition gegen die Politik 
Iswolskic an Umfang und Schärfe zunahm. Die Hauptträgerin 
der radikal-panslawistischen Bestrebungen war die Kadettenpartei. 
Ihr schlossen sich nach der österreichischen Annerionserklärung auch 
die Oktobristen und ein Teil der Rechten an. Schon Ende Oktober 
los forderte das gemäßigte Dumamitglied Graf Bobrinski die 
Regierung auf, die Anerkennung der Annexion zu verweigern, wenn 
für Serbien und Montenegro keine ausreichenden Entschädigungen 
auf einer Konferenz beschlossen würden. Den ganzen folgenden 
Winter über blieb es ungewiß, ob die Wut des serbischen Volkes seine 
schwache Regierung zum Kriege treiben würde, trotz des notge- 
drungenen Versagens militärischer Hilfe aus dem großen Rußland 1). 
Je länger sich die Entscheidung über den Konferenzvorschlag 
hinzog, um so wilder gebärdeten sich die Serben, bio sie sogar 
1) S. „Zur europsischen Politik 1897—1914“. Bd. 3, S. 11, 953. 
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