Full text: Um den Kaiser.

mit den russischen überein. Irgendwie aggressio gegen die Türkei 
vorzugehen, hatte die französische Politik keinen Grund. Der fran- 
zösische Kapitalmarkt mit seinem großen Besitz an türkischen Werten 
wünschte vielmehr, in möglichster Ruhe alle die Vorteile auszu- 
schöpfen, die ihm die heftige Empörung in Konstantinopel über 
die Annexion Bosniens und die Auflösung der Suzeränität über 
Bulgarien, sowie die Abkehr der Türken von Deutschland, un- 
mittelbar nach der Revolution von lgos, gewährte. Der Botschafter 
Frhr. v. Marschall, Frhr. v. d. Goltz Pascha und die Leiter der 
deutschen Unternehmungen im nahen Orient taten das ihrige, um 
das deutsche Ansehen in Konstantinopel bald wiederherzusiellen. 
Dabei half ihnen am meisten, daß die jungtürkischen Führer, mit 
Einschluß der in Paris erzogenen, die neuen russisch-englischen Re- 
formvorschläge bald als eine schwere Bedrohung der Türkei emp- 
fanden. 
Wäre es den panflawistischen Kriegsdrängern in Rußland ge- 
lungen, die Oberhand zu bekommen, und infolgedessen der ser- 
bische Krieg mit russischer Hilfe doch ausgebrochen, so wäre er 
wahrscheinlich nicht ohne tätige Beteiligung Frankreichs und Eng- 
lando ausgefochten worden. Der belgische Gesandte in Paris be- 
richtete seiner Regierung unter dem 5. April 1000: „Man ist sich 
hier klar darüber, daß Deutschland und Österreich die größere 
Geschicklichbeit entwickelt haben und daß Frankreich einen besseren 
Gebrauch von gleichwertigen Kräften, um dieselben Befürchtungen 
einzuflößen, hätte machen können. Jedoch steht es nach Nach- 
richten aus bester Quelle fest, daß in Paris wie in London Ver- 
Fflichtungen eingegangen waren, um Rußland zu unterstützen, wenn 
der Krieg ausgebrochen wäre“/1). 
Ein Zusammenprall der großen Mächtegruppen in dem System 
der Gegengewichte war also vermieden worden. Daß aus der bos- 
nischen Krisio neben den über die erlittene diplomatische Niederlage 
tief erregten und zu allen Opfern bereiten panflawistischen Kreisen 
Nußlands ein ußerst erbittertes, von den Tschechen offen und 
heimlich unterstütztes Serbien zurückblieb, war die große Zukunfts- 
1) „Zur europkischen Politik 1897—1914“ S. 146. 
59
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.