Full text: Um den Kaiser.

gefahr für das Nationalitätenreich an der Donau und für den 
Weltfrieden. 
Am 2. Januar 1909 las der Kaiser den um ihn zur Neujahrs- 
gratulation versammelten kommandierenden Generalen eine in der 
Deutschen Revue erschienene Studie des gewesenen Generalstabs- 
chefs Grafen Schlieffen vor, in der auf Grund der im japanischen 
Kriege gemachten Erfahrungen der moderne Massenkrieg in all 
seiner Ausdehnung und Furchtbarkeit kurz und packend dargestellt 
und zugleich ein Bild der damaligen politischen Lage in 
Europa entworfen ist. Mögen die Hauptsätze in ihrer klassischen 
Einfachheit hier folgen: 
„In der Mitte stehen ungeschützt Deutschland und Osterreich, 
ringoherum hinter Wall und Graben die übrigen Mächte. Der 
militärischen Lage entspricht die politische. Zwischen den cinschlie- 
ßenden und eingeschlossenen Mächten bestehen schwer zu beseitigende 
Gegensätze. Frankreich hat die 1871 geschworene Rache nicht auf- 
gegeben. Wie die Revancheidee ganz Europa unter die Waffen ge- 
rufen hat, so bildet sie auch den Angelpunkt der gesamten Politik. 
Der gewaltige Aufschwung seiner Indusirie und seines Handels hat 
Deutschland einen weiteren unversöhnlichen Feind gebracht. Der 
Haß gegen den früher verachteten Konkurrenten läßt sich weder durch 
Versicherungen aufrichtiger Frcundschaft und herzlicher Sympathie 
mildern, noch durch aufreizende Worte verschärfen. Nicht Gefühls- 
regungen, sondern das Soll und Haben bestimmen die Höhe des 
Grolls. Nußland wird ebenso durch die ererbte Antipathie des 
Slawen gegen den Germanen, die überlieferte Sympathie mit den 
Nomanen wie durch sein Anleihebedürfnis an dem alten Verbündeten 
festgehalten, und wirft sich jetzt auch der Macht in die Arme, die 
ihm am meisten schaden kann. Italien, an jeder Ausdehnung nach 
Westen verhindert, hält die Verdrängung der Fremden, die einst 
über die Alpen in die fruchtbaren Gefilde der Lombardei herab- 
stiegen, noch nicht für vollendet. Es will sie weder an den Süd- 
abhängen des Gebirges noch an den Küsten des Adriatischen Mceres 
dulden. Es ist nicht ausgemacht, daß diese Leidenschaften und Be- 
gehrlichkeiten sich in gewaltsames Handeln umsetzen werden. Aber 
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