Full text: Um den Kaiser.

Geheimberichten über die Notwendigkeit einer Operation des fortdau- 
ernden Ohrenleidens des Kaisers und einer durchgreifenden Nervenkur 
gemeldet wurde 1). Erst recht ganz zu schweigen von den wilden 
Phantasien, in denen sich Berliner Artikel eines Polizeiagenten in 
der ausländischen Presse über Zustände bei Hofe ergingen?). 
Klar und deutlich, selbst für schwache Augen, liegen vor uns 
die weiten Räume der Unwirklichkeit, in denen der Geist Wil- 
helms II. umherirrte. Aus dem Zentrum seines Wesens, der gött- 
lichen Sendung, die ihm zum Wohle seines Volkes und der Mensch- 
heit nach seiner Meinung aufgetragen war, ging es hervor, daß er 
sich regelmäßig bei schlimmen Folgeerscheinungen seines Redens 
und Tuns gedrängt fühlte, jede Schuld von sich abzuweisen. 
Die erste Erklärung, die er wenige Tage vor der Flucht über die 
holländische Grenze über seine Nolle vor Kriegsausbruch abgab, war 
nicht einwandfreis). Durch Bethmann Hollweg und Jagow sel er 
in der kritischen Zeit vor Kriegsausbruch künstlich von Berlin fern- 
gehalten worden, sie hätten ihn wider seinen Willen nach Norwegen 
geschickt, ihn dort ohne Nachricht gelassen und die ganze Politik der 
letzten Wochen vor dem Kriege allein gemacht usw. Mit einer solchen 
nachträglichen Beschwerde, die den Eindruck erwecken könnte, als ob 
der Krieg vermieden worden wäre, wenn er auf die Nordlandreise 
(6.—26. Juli) verzichtet hätte, glaubte er seine Lage gegenüber seinem 
Volke und vor den Feinden zu verbessern! Tatsächlich hatte ihm der 
Kanzler geraten, nicht auf die Nordlandreise zu verzichten, weil die 
Lage damals keineswegs hoffnungslos war — sie verschärfte sich 
erst nach der Uberreichung des österreichisch-ungarischen Ultimatums 
— und der Verzicht auf die gewohnte Reise unnötiges Aufsehen er- 
  
1) In dem noch nicht veröffentlichten dritten Bande der Gedanken und Er- 
innerungen soll für die menschliche Beurteilung des Kaisers sein Gesundheitszustand 
als entschuldigender Umstand angeführt sein. In einer Zuschrift an die Deutsche 
Zeitung (26. Februar 1919) wird behauptet, Fürst Bismarck hätte in der Zeit 
vor seiner Entlassung ärztliche Gutachten eingezogen, die dem dritten Bande 
beigegeben wären. 
*) Siehe Neuer Kurs, S. 74. 
) Der Kaiser über den Kriegsausbruch von Prof. Dr. Georg Wegener, 
Köln. Stg. vom 30. Nov. 1918. 
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