Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Fritz Berolzheimer, Methodik und Abgrenzung der Politik. 17 
  
Somit ergeben sich methodologisch die Leitsätze: 
1. Die Politik als Staatsmachtlehre kann nur durch geschichtliche Betrachtung der Macht- 
gruppierungen erfasst werden. 
2. Die staatliche Machtentwicklung besteht nicht aus restlosen Umformungen, vielmehr 
verbleiben aus den früheren Gestaltungen noch jeweils Machtreste fort. 
3. Für die Machtgestaltung ist die menschliche Gruppenbildung erheblich. 
3. Politik und Allgemeine Staatslehre. Politik und Staatsphilosophie. 
Regelmässig setzt dıe Wissenschaft heute Grenzen zwischen den Disziplinen Politik 
und Allgemeine Staatslehrel®.) Mit Recht. Die Allgemeine Staatslehre stellt die 
staatlichen Verhältnisse (ohne Beschränkung auf den einzelnen Staat) wesentlich im Behar- 
rungszustand dar, die Politik dageren wesentlich nach der Seite des Werdens (Eut- 
stehens und Vergehens). Allgemeine Staatslehre ist die Wissenschaft der stabilen Machtverhält- 
nisse des Staats und im Staat, Politik jene der labilen. Allgemeine Staatslehre gibt eine Art Ana- 
tomie des Staats, während Politik die Physiologie des staatlichen und innerstaatlichen Macht- 
ringens aufzeigt.1?) 
Da dieses Machtringen nach Verwirklichung strebt und demnach im günstigen Fall zu Neuem 
führt, hat man die Politik auch die schöpferische Seite der Staatstätigkeit genannt.?P) 
Aber das trifft nicht den Kern der Sache. Denn auch die Rechtsprechung kann schöpferisch sein 
(das Prätorische Edikt der Römer, die equity der Engländer, die Ausgestaltung gemäss der 
Freirechtsschule der Gegenwart) ; andrerseits bleibt die Politik auch dann noch Politik, wenn sie, in 
Marasmus verfallen, jederschöpferischen Kraftentbehrt(Niedergangszeiten ; Herrschaft derReaktion). 
Auch der Gegensatz: die Staatslehre enthält wesentlich Erkenntnisurteile, die 
Politik Werturteile,2l) ist unzutreffend. Denn die Staatslehre kann sich der Kritik nicht 
begeben, während die Werturteile für die Politik nur das Mittel bilden zu Erkenntniszielen. — 
Wie Anatomie und Physiologie das Objekt, den menschlichen Körper, gemeinsam haben, so auch 
Allgemeine Staaislehre und Politik, nämlich den Staatskörper. Der Unterschied liegt hier wie dort 
in dem Gegensatz: Ruhe — Bewegung. Die Politik spiegelt das Machtringen in seinen zahllosen 
Gliederungen, die Staatslehre zeigt die gefestigte Macht. Der bleibende Niederschlag der Politik 
der Gegenwart ergibt die Staatslehre der nächsten Zukunft. 
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Politik und Staatsphilosophie sind so eng verwandt, dass ihre Grenzen in 
einander überfliessen. Denn Politik und Staatsphilosophie haben das Objekt gemeinsam. Der 
Unterschied liegt nur in der Grösse und Bedeutsamkeit des Standpunkts der 
Forschung; der quantitative Unterschied begründet den qualitativen??.) 
Man kann somit das Verhältnis von Allgemeiner Staatslehre zur Staatsphilosophie und zur 
Politik in die Gleichung brin:en: 
Igemeine Staatslehre: Staatsphilosophie: Politik = Zu- 
stand: Richtlinien: Erfolgsstrebungen. 
18) Anders Rich. Schmidt, Allgemeine Staatslehre, I, S. 25—30: Da die Allgemeine Staatslehre nicht 
nur deskriptiv, sondern auch kritisch verfäbrt und verfahren muss, fällt sie nach Schmidt in ihrem kritischen Teil 
zusammen mit der Politik. Zugleich scheidet Schmidt die Lehre von den Akten der blossen Staatskunst aus der 
Allgemeinen Staatslehre aus (a. a O. S 29). 
1%) Bluntschli, Lebre vom modernen Staat, I, S. 2f: „Die Wissenschaft der Politik betrachtet den Staat 
in seinem Leben, in seiner Entwicklung, sie weist nach den Zielen hin, nach denen das öffentliche Leben sich be- 
wegt und lehrt dieWege kennen, welche zu diesenZielen führen ... .‘“ Vergl.auch Schäffle, Über den wissenschaft- 
lichen Begriff der Politik, Aiechr. f. d. ges. Staalswissenschaft, LIL, S.582ff. Gegen Bluntschli: Rich. Schmidt, 
Allgemeine Staatslehre, I, S. 2 
20) So Schäffle, a. a. o. S. 593. 
21) So Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 13. 
3) Vergl. mein System, Bd. II, S. 23 und sonst. 
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band I. 2
	        
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