Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Eduard Hubrich, Souveräne, halb- und nichtsouveräne Staaten. 81 
diese schlechthin aus eigener Macht durch eine Andersrechtssetzung die Schranke des Rechts um- 
gestalten kann. Nur dann erscheint die Souveränetät einer Staatsgewalt ihrem Wesen nach alte- 
riert, wenn diese unbedingt dulden muss, dass in einer von ihr unableitbaren Weise eine dritte 
Macht über den Bestand der innerstaatlichen Rechtsordnung oder gewisser Stücke derselben ver- 
fügt. Nach aussen hin bedingt aber zweitens das Höchst-Sein der souveränen Staatsgewalt das 
Freisein von jedwelchem staatsrechtlichen Unterordnungsverhältnis gegenüber einem 
anderen Staatswillen, kraft dessen dieser eigenständig, sei es mit Aufsicht und Leitung gegenüber 
den Organen des untergebenen Staates, sei es mit direkten Anordnungen gegenüber der Unter- 
tanenschaft des letzteren, eingreifen kann. Die Beziehung einer staatsrechtlichen Unterordnung 
ist durchaus von der Beziehung einer völkerrechtlichen Unterordnung im Verhältnis von Staat 
zu Staat zu scheiden. Im letzteren Fall wurzelt die Unterordnung rechtlich in den an sich 
dennoch gleichgeordnet bleibenden Willen beider beteiligten Staaten und 
ihr Entstehungsgrund ist lediglich ein völkerrechtlicher Vertrag. Im ersten Fall dagegen ist es der 
eigenständige, übergeordnete Staatswille, auf welchem rechtlich das Unterordnungsverhältnis des 
anderen Staats entscheidend beruht, welcher durch eine entsprechende direkte oder indirekte Be- 
tätigung seiner Rechtsnormierungsfunktion diesen Staat als Untertan sich aneignet, mag auch eine 
Einwilligungserklärung von seiten desselben vorangegangen sein. Über die Dauer eines völker- 
rechtlichen Unterordnungsverhältnisses zwischen Staat und Staat entscheiden eventuell die Regeln 
des Völkerrechts über die Endigung von Völkerverträgen. Die Dauer eines staatsrechtlichen Unter- 
ordnungsverhältnisses richtet sich eventuell nach den Völkerrechtsnormen über den Untergang 
der Staaten bezw. der Staatsherrschaft. Das Vorliegen eines völkerrechtlichen Unterordnungs- 
verbältnisses nimmt der Staatsgewalt an sich nicht den Charakter der Souveränetät, des Höchst- 
Seins in ihrer Sphäre, gleichgültig ob die Unterordnung nur auf Beaufsichtigung, Leitung oder 
sogar direkte Vertretung bezüglich des internationalen Verkehrs gerichtet ist, oder ob auch die 
inneren Verhältnisse der mittelbaren oder unmittelbaren Einwirkung des übergeordneten Staates 
erschlossen sind. Denn alle diese Beschränkungen des Staatswillens beruhen hier rechtlich auf 
einer Selbstbindung, welcher der untergebene Staat sich kraft Völkerrechts durch Kündigung in 
allen entscheidenden Fällen — nicht bloss bei Vertragsbruch des übergeordneten Staates, sondern 
auch nach Massgabe der clausula rebus sic stantibus — einseitig entledigen darf. Nur ein staats- 
rechtliches Unterordnungsverhältnis, weiches für den übergeordneten Staat gegenüber dem unter- 
gebenen Staat eine eigenständige und unbedingt von diesem nicht einseitig lösbare Einwirkungs- 
macht mit sich bringt, schliesst die Souveränetät aus, und „nichtsouverän“ sind daher alle in einem 
derartigen staatsrechtlichen Unterordnungsverhältnis befindlichen Staaten.8) 
Die Souveränetät ist jedenfalls ein einheitlicher Begriff. Es gibt nicht zwei von einander 
zu sondernde und unabhängige Souveränetäten, wie man zum Teil gemeint hat, nämlich eine 
völkerrechtliche Souveränetät, deren Inhalt die Freiheit von der Herrschaft anderer Gemeinwesen 
sei, und eine staatsrechtliche Souveränetät mit der Überordnung über alle innerhalb des Staats- 
gebietes befindlichen Personen und Korporationen als Inhalt. Die Staatsgewalt, für welche even- 
tuell der Besitz der Souveränetät in Frage kommt, ist immer ein Machtbegriff einheitlicher Art, 
mag es sich um die Beziehungen nach innen oder nach aussen handeln. Das staatsrechtliche Unter- 
ordnungsverhältnis, in welchem sich ein Staat befindet und das des letzteren Souveränetät schlecht- 
hin ausschliesst, braucht gar nicht eine direkte Ordnungsmacht des übergeordneten Staats für die 
inneren Verhältnisse des untergebenen Staates mit sich zu bringen, sondern kann sich auf die Be- 
herrschung der äusseren Bewegung des untergebenen Staates beschränken. Andererseits kann ein 
®) Der Begriff „Halbsouveränetät‘“ läuft logisch auf eine Unklarheit hinaus, da es nur „zur Hälfte höchste 
Gewalten“ an sich nicht gibt. Er wird am besten aus Wissenschaft und Praxis ganz verbannt, da selbst seine 
besondere Beziehung auf die Stellung der in völkerrechtlichen Unterördnungsverhältnissen befindlichen Staaten 
zur Verdunkelung des rechtlichen Tatbestandes beitrüge, dass derartige Staaten an sich doch souverän sind. 
Er ist eigentlich ein Verlegenheitsausdruck, entstanden zu einer Zeit, als man Souveränetät zu den Essentialien 
des Staatsbegriffes überhaupt rechnete und doch die Tutsache erklären wollte, dass gewisse Verbände, die un- 
zweifelhaft nicht unabhängig waren, in mancher Hinsicht, namentlich im internationalen Verkehr, dennoch 
wie souveräne Staaten handelten. 
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band I. 6
	        
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