Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Julius Wolf, Die öffentlichen Abgaben in Deutschland. 101 
Die Einkommensteuer bringt in Preussen mehr als die Hälfte des Gesamtertrags der Ge- 
meindesteuern auf. 1912 war ihr Ertrag 484 Millionen bei einem Gesamtertrag der kommunalen 
Steuern von 912 Millionen, im besondern gegenüber einem Ertrag der kommunalen Grundsteuern 
von 229, der kommunalen Gewerbesteuer von 113 Millionen und gegenüber einem Staatssteuer- 
ertrag von 336 Millionen. 
In Bayern werden für Rechnung der Gemeinden Zuschläge zu sämtlichen Staatssteuern 
erhoben. Das Zurücktreten der Ertragssteuern, das Vortreten der Einkommensteuer in der letzten 
Staatssteuerreform hat erstere mehr, letztere weniger für die Gemeinden verfügbar gemacht — auch 
hier sind die Gemeinden in die in der Staatsbesteuerung geschaffenen Lücken eingetreten —, dem- 
gemäss ist der Verteilungsschlüssel zwischen den direkten Gemeindesteuern dahin geregelt, dass, 
wenn die Grund-, Haus- und Gewerbesteuer mit dem 2\%fachen der Staatssteuer, die Kapital- 
rentensteuer mit dem Il%fachen, die Einkommensteuer nur mit dem halben Betrage heran- 
gezogen wird. Jedoch geschieht das unter besonderer Dienstbarmachung der höheren Ein- 
kommen (von 8000 Mk. an) für den Gemeindesäckel durch Unterwerfung derselben unter eine be- 
sondere Steuerprogression, so dass die grossen Einkommen verhältnismässig mehr, die niedrigeren 
weniger zur Gemeindekasse zahlen. Als Verbrauchsabgaben sind solche von Wildpret, Geflügel, 
Obst, Kaffee, Malz und Bier gestattet. 
Völlig selbständig verwalten die Gemeinden ihr Steuerwesen in Sachsen. Demgemäss 
bringt ein Teil der Städte den Steuerbedarf durch selbständige Einkommens- und Ertragssteuern, 
ein Teil durch blosse Zuschläge zu den Staatssteuern auf. In manchen Gemeinden bestehen Miet- 
steuern. Verbrauchssteuern bedürfen besonderer ministerieller Genehmigung. 
Württemberg hat Staatssteuerzuschläge, daneben Weinsteuern und an indirekten 
Steuern in gewissen Fällen Abgaben von Bier, Gas und Elektrizität. 
Der Gesamtbetrag der Gemeindesteuern in Deutschland wird für 1912 mit 1378 Millionen M. 
berechnet, wovon 651 Millionen auf die Einkommensteuer, 308 Millionen auf die Grund- und 
Gebäudesteuer, 163 Millionen auf die Gewerbesteuer entfallen. 
Die Einnahmen der Kreise und Provinzen sind gemeinhin in Deutschland in noch 
höherem Grade auf Staatssteuerzuschläge gestellt als die der Gemeinden. Sie fallen insgesamt 
nicht ins Gewicht. 
2. Entwicklung und Entwicklungstendenzen im Abgabenwesen der 
Gemeinden. 
Nachdem die Kommunalabgabenreform Miquels den Gemeinden Preussens finanziell Licht 
und Luft geschafft hatte, ist man jetzt wieder ungefähr dort angelangt, wo man zur Zeit jener 
Reform war, nämlich bei Zuschlägen zumal auch zur Einkommensteuer, welche die Grenze 
des Möglichen bereits hart streifen und die des Rationellen vielfach überschreiten. Die Frage 
der Ordnung der Gemeindefinanzen ist dadurch neuerlich zu einer brennenden geworden, welche, 
nachem die Reichs- und Landesfinanzen leidlich in Ordnung gebracht sind, kaum mehr vertagt 
werden kann. Das „Problem“ präsentiert sich dabei als eines der schwierigsten darum, weil 
zweifellos andere Wege als bisher werden gegangen werden müssen, um das Ziel einer wirk- 
lichen und dauernden Ordnung zu erreichen. 
Der Versuch einer Gruppierung der Möglichkeiten der Zukunft ergibt als in Betracht 
kommend 1. eine Einschränkung der Gemeindeausgaben, doch wäre eine solche dauernd nur möglich 
bei Übernahme von bisherigen Gemeinde-Aufgaben durch den Staat. Wenn man bedenkt, dass 
der Schul-Etat in leistungsschwachen G ärtig nicht selten ?2/, der Ausgaben 
verschlingt,!*) wenn man weiter berücksichtigt, dass bei dem heutigen Wandertrieb der Bevölkerung 
diese Ausgaben vielfach gemacht werden nicht für die eigene Bevölkerung, d. h. jene, welche 
den betreffenden Gemeinden verbleibt, sondern für eine solche, die schliesslich in andere Ge- 
  
ı) Vgl Mertini, Die Einkommensteuerzuschläge der Gemeinden in Preussen, 1912.
	        
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