Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

K. Th. von Eheberg, Stenerreformen. 119 
bildungen im Wirtschaftsleben, die neuen Lehren der ökonomischen Wissenschaft waren die Haupt- 
ursachen. Aber der Verlauf wie die Ergebnisse dieser Umgestaltungen waren in den einzelnen 
Staaten sehr verschieden. Es ist notwendig, darauf mit einigen Worten einzugehen; denn das 
Verständnis der Vorgänge auf dem Gebiete des Steuerwesens im 19. Jahrhundert und in der Gegen- 
wart ist bedingt von der Kenntnis der Umbildungen, welche um die Wende des 18. Jahrhunderts 
sich vollzogen haben. Wir müssen uns jedoch, der gegebenen Aufgabe entsprechend, auf eine kurze 
Darstellung der wichtigsten Vorgänge in den massgebenden westeuropäischen Staaten beschränken. 
In Frankreich versuchte die Revolution wie den alten Staat, so auch dessen Steuer- 
wesen aus den Angeln zu heben, in letzterer Beziehung an die Stelle der Vielheit drückender direkter 
und indirekter Steuern einige wenige Steuern zu setzen, die alten Privilegien gründlich zu beseitigen 
und Veranlagung und Erhebung im Sinn formaler Gleichheit umzugestalten. Aber das, zum Teil 
durch den Doktrinarismus der Physiokratie gestützte Bestreben, den Staatsbedarf durch zwei grosse 
direkte Steuern, die Grund- einschliesslich der Gebäudesteuer und die Personal-Mobiliarsteuer. zu 
decken, neben denen noch die Zölle und einige Register- und Stempelabgaben erhoben wurden, 
erwies sich bald als ganz undurchführbar. Die Demokratie wirtschaftete nicht billiger als der 
Absolutismus. Die Vereinfachung im Steuerwesen war erkauft worden mit einer rücksichtslosen 
Ausnützung der Papiergeldpresse. Die dadurch mit herbeigeführte zunebmende Zerrüttung der 
Finanzen zwang die Übereilung des Jahres 1791 wieder gut zu machen und bis 1798 erfolgte ledig- 
lich aus finanziellen Gründen die Einführung der Patentsteuer und der Tür- und Fenstersteuer. 
Im Jahre 1798 wurde das Enregistrement mit Einschluss der Erbschafts- und Schenkungssteuer 
in stark fiskalischem Sinn, aber in technisch anerkennenswerter Weise legislativ ausgebaut. Ja 
die Finanznot nötigte dazu, auch die innere Verbrauchsbesteuerung, «leren Druck nicht wenig zum 
Ausbruch der Revolution beigetragen hatte, zunächst schüchtern, später aber sehr energisch auszu- 
nützen und die Einfuhrzölle zu erhöhen. Die eiserne Hand Napoleons, unter der das Parlament sich 
widerstandslos beugte, bescherte den Franzosen die Getränkesteuern, die Salzsteuer, das Tabak- 
monopol. Als Napoleon vom Schauplatze abtrat, war das französische Steuerwesen, was die Ver- 
teilung der Steuerlast betraf, nicht allzuweit von dem Zustande entfernt, den es in der letzten Zeit 
des Ancien Regime erreicht hatte. Natürlich waren im einzelnen viele Verbesserungen vorgenommen 
worden, namentlich auf dem Gebiete der direkten Steuern: viele Privilegien waren gefallen, die 
Besteuerung war allgemeiner geworden, die Veranlagung und Erhebung mit grossem Geschick 
ausgestaltet, die Scheidung nach Ertragsquellen scharf durchgeführt und das Prinzip formaler 
Gerechtigkeit zur Anerkennung gebracht worden; auch die indirekten Steuern lasteten nicht 
mehr ganz so stark und so ungleichmässig wie früher auf dem Volke. Vom Standpunkte der 
heutigen Auffassung haften allerdings dem französischen Steuerwesen jener Zeit schwere Gebrechen 
an, über die seine grosse finanzielle Leistungsfähigkeit nicht hinwegzutäuschen vermag. Der 
Hauptberater bei seiner Ausbildung war doch das augenblickliche fiskalische Bedürfnis gewesen. 
Eine die Grundlagen ergreifende Umgestaltung des französischen Steuerwesens fand auch 
in der Folgezeit nicht statt. Dass aber die hundert Jahre vom Abschluss des französischen Steuer- 
systems bis zur Gegenwart im einzelnen zahlreiche Änderungen gebracht haben, ist bei der Fülle 
der politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, die diese Zeit umfasst, selbstverständlich. Die 
Zeit der Bourbons und Orleans war allerdings ganz arm an Neuerungen im Steuerwesen. Die 
Ermässigung der Grundsteuer, die feinere Ausgestaltung der Patentsteuer, die Einführung der 
Rübenzucker- und einer Eisenbahnsteuer sind das ganze Ergebnis. Die Erhöhung der Zollsätze 
brachte zwar gesteigerte Einnahmen, war aber mehr im handelspolitischen als im finanziellen 
Interesse erfolgt. Die Revolution von 1848 und die zweite Republik waren von zu kurzer Dauer, 
um die jeder demokratischen Bewegung eigentümliche Abneigung gegen indirekte Steuern ver- 
wirklichen zu können. Ihr praktisch wichtigstes Ergebnis auf finanziellem Gebiete war die Er- 
mässigung der Salzsteuer. Napoleon III. vermied es schon aus politischen Gründen an den Grund- 
lagen der direkten Steuern zu rütteln, wenn auch in Einzelheiten manches geändert wurde. Bei 
der Stabilität der direkten Steuern und unter dem Einfluss des zunehmenden Wohlstandes wuchs 
der Anteil der Verbrauchs- und Verkehrsbesteuerung an der Deckung des Staatsbedarfs. Zudem 
wurde der Staatskredit in steigendem Masse in Anspruch genommen. Die dritte Republik war zu-
	        
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