Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 127 
  
Die Ersetzung der Ertragsteuern durch eine Vermögenssteuer ist nur eine Frage der Zeit. Die Ge- 
meinden sind nach wie vor zur Deckung ihres Steuerbedarfes in der Hauptsache auf Zuschläge zu 
den sämtlichen direkten Staatssteuern, jedoch nach einer neuen, ziemlich komplizierten Abstufung, 
angewiesen. Schon vorher hatte Ba den 1884 eine allgemeine Einkommensteuer eingeführt, neben 
der die Ertragsteuern (ohne Arbeitsertragssteuer) zur schärferen Belastung des fundierten Ein- 
kommens beibehalten worden waren. Das Jahr 1906 brachte dann eine Ersetzung der Ertragsteuern 
durch eine Vermögenssteuer, die sich aber von der preussischen dadurch unterscheidet, dass für 
die einzelnen Vermögensgattungen (Grund und Boden, Gebäude, Gewerbe- und Kapitalvermögen) 
Spezialwertkataster gebildet wurden, aus denen der der Besteuerung zugrunde liegende Gesamtver- 
mögenskataster zusammengestellt wird. Schulden dürfen nur bis zur Hälfte der Vermögenswerte 
abgezogen werden. Württemberg war 1903 mit der Einführung der Einkommensteuer gefolgt. 
Hier sind aber die Ertragssteuern, ähnlich wie in Bayern, zur Vorbelastung des fundierten Ein- 
kommens beibehalten worden. Sachsen war am frühesten von allen grösseren deutschen Staaten 
zum Personalsteuerprinzip übergegangen. Durch Gesetz vom 2. Juli 1878 hat es sein allerdings 
recht ungenügendes Ertragssteuersystem durch eine allgemeine Einkommensteuer ersetzt, neben 
der nur die ermässigte Grundsteuer und die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen bestehen 
blieben. Die Einkommensteuer wurde dann in der Folge noch etwas ausgestaltet. Sie beginnt mit 
400 Mk. Einkommen und erreicht bei Einkommen über 100 000 Mk. 5 %. Im Jahre 1912 erfolgte 
auch bier die Einführung einer Ergänzungs- (Vermögens-) steuer. 
Der dermalige Zustand des direkten Staatssteuerwesens in Deutschland ist also charakterisiert 
durch den Sieg der allgemeinen Einkommensteuer. Nur die beiden Mecklenburg und Eisass-Loth- 
ringen entbehren sie noch zurzeit; das letztere wird aber, da ein darauf bezüglicher Entwurf der 
Regierung bereits vorliegt, voraussichtlich in Bälde sein Ertragssteuersystem dur£h die allgemeine 
Einkomnıensteuer ersetzen oder ergänzen. Auch die Vermögenssteuer hat in einer grossen Anzahl 
deutscher Staaten Eingang gefunden, neben Preussen, Sachsen und Baden noch in Hessen, Braun- 
schweig, Oldenburg und Sachsen-Gotha. Die übrigen Staaten haben, soweit sie zur Einkommen- 
steuer gelangt sind, daneben die sämtlichen Ertragsteuern vom fundierten Ertrag beibehalten, wie 
Bayern und Württeniberg, oder die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer oder wenigstens die 
beiden ersteren. Fast überall ist die Hausiergewerbesteuer dem Staate verblieben. In Einzelheiten 
finden sich freilich noch zahlreiche Abweichungen. Sie betreffen, was die Einkommensteuer anbe- 
langt, die Abgrenzung der Existenzminjma, die Steuerprogression, die Wahl der Steuerstufen, den 
Umfang der Steuerbefreiungen und -ermässigungen u. a. Und ähnliche Verschiedenheiten weisen 
die Vermögenssteuern auf. Sie erklären sich zum Teil aus historischen, zum Teil aus den wirtschaft- 
lıchen Verhältnissen, aus der verschiedenen Grösse des Steuerbedarfes und dergleichen Umständen. 
Alle aber erstreben eine der Leistungsfähigkeit angepasste Lastenverteilung. Des weiteren ist 
der heutige Zustand im deutschen Staatssteuerwesen charakterisiert durch das Fehlen der Ver- 
brauchssteuern und die geringere Ausnützung der Verkehrssteuern einschliesslich der Erbschafts- 
steuer. Nur in den süddeutschen Staaten liefert die Biersteuer erhebliche Einnalımen. Da die 
höheren Kommunalkörper ihren Steuerbedarf ganz, die Lokalgemeinden ihn zum weitaus grössten 
Teile durch Zuschläge zu den direkten Steuern oder durch selbständige Erhebung von solchen 
decken, so werden in Staat und Gemeinde 85—90 % und mehr des Steuerbedarfes durch direkte 
Steuern aufgebracht. 
Allein das Bild vom deutschen Steuerwesen wäre unvollkommen, wollte man nicht auch die 
grossen Summen in Rechnung setzen, welche das Reich alljährlich an Steuern einfordert und die 
in weit höherem Masse Aufwand und Verbrauch belasten als Besitz und Einkommen. 
Es lag in der Natur der Dinge und war in politischer und finanzieller Hinsicht durchaus 
zweckmässig, dass das Reich sich zunächst und in erster Linie der teilweise bereits gemeinsam ver- 
walteten sog. indirekten Steuern, der Salz-, Tabak-, Rüben-, Bier-, Branntweinsteuern sowie der 
Zölle bediente, um seine Ausgaben zu bestreiten. Auf diesem Wege gelang es, eine reinliche Scheidung 
zwischen den Steuereinnahmen des Reiches und denen der Bundesstaaten zu bewirken, beiden 
eine selbständige Entwicklung ihres Finanzwesens zu sichern und alle die Verwicklungen und 
Reibungen zu vermeiden, die die Besteuerung derselben Steuerquellen durch Reich und Land not-
	        
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