Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

143 &K. Th. von Eheberg, Steuerreformen. 
  
grössere oder geringere Einfluss der Organisationen in der Presse und im Parlament zum Siege 
führen 
Allein auch den Fall gesetzt, dass die Steuergesetze so gerecht wie möglich gestaltet, die 
Lasten auf das gleichmässigste verteilt seien, so ist immer noch keine Garantie gegeben, dass die 
Gerechtigkeit nicht durch Vorgänge, die jenseits des staatlichen Willens gelegen sind, wieder be- 
einträchtigt werde. Wir denken vor allem an den Komplex von Vorgängen, den man als Überwälzung 
zu bezeichnen pflegt, und an die widerrechtliche Entlastung durch irrige Einschätzungen und 
falsche Selbstangaben. Was die Über- und Abwälzungen betrifft, so sind wir in der Erkenntnis ihrer 
Tragweite heute nicht viel weiter als zur Zeit der klassischen Nationalökonomie; wir vermuten 
und behaupten sie mehr, denn dass wir sie im einzelnen beweisen könnten. Wir vermuten in vielen 
Fällen, dass der Gewerbetreibende die Steuer unter die Produktionskosten rechne, der Hausbesitzer 
sie auf die Miete schlage, dass die Arbeiter die Belastung des notwendigen Lebensunterhaltes durch 
Erzwingen höherer Löhne ausgleichen. Aber ob und in welchem Umfange dies geschieht, hat noch 
niemand einwandfrei erwiesen. Und doch ist klar, dass solche Vorgänge die Steuerlasten völlig 
verschieben, ungerechte Lasten ausgleichen, aber auch die Ungleichheit vermehren können. Es 
wäre eine dankenswerte Aufgabe der Wissenschaft, das Problem durch sorgfältige Untersuchungen 
aufzuhellen. Eine volle Klarheit wird freilich niemals zu erzielen sein, weil sich Steuerüber- 
wälzungen nur zu leicht mit anderen Preisbewegungen vermischen und von diesen nicht losgelöst 
werden können. Leichter erscheint die Bekämpfung der widerrechtlichen Entlastung einzelner 
von den Steuern durch irrige Einschätzungen und falsche Selbstangaben. Dass die letzteren auch 
heute noch, obwohl die Verhältnisse besser geworden sind, in erheblichem Umfange bestehen, 
bedarf keines Beweises. Man betrachte nur die Veröffentlichungen des preussischen Finanz- 
ministeriums über die Ergebnisse des Beanstandungsverfahrens, wonach z. B. 1908 23,7 Proz. aller 
Steuererklärungen berichtigt werden mussten und ein Mehr an Einkommen von 330 Millionen, 
ein Mehr an Steuern von 11 Mill. M. erzielt wurde. Leider wendet die Volksvertretung der Ver- 
besserung der Veranlagungstechnik zu wenig Aufmerksamkeit oder zu wenig Verständnis zu. Man 
spricht lieber von den Mängeln der Steuerverwaltung als von den Mitteln, welche den Schutz des 
ehrlichen Steuerzahlers gegen den unehrlichen zu bewirken geeignet wären. Eine Verschärfung 
des Steuerstrafrechtes und die Schaffung von Garantien gegen die Unmoral im Steuerbekenntnis- 
wesen erscheinen uns als wichtige Postulate künftiger Steuerreformen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.