Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

144 Otto Schwarz, Die öffentlichen Kredite. 
gern die Sicherheit des Kapitals und regelmässiger Zins- und Tilgungszahlung gewährleistet, werden 
sie bereit sein, den verlangten Kredit zu gewähren. Solange die Fürsten der älteren und mittelalter- 
lichen Zeit nicht ein fest fundiertes, geordnetes Staatswesen hinter sich hatten und mehr auf Erträge 
ihres Domaniums als auf Steuern angewiesen waren, war cine Schuldaufnahme für sie ausserordent- 
lich erschwert. Ursprünglich Kleinodien, Edelsteine, später die Domäneneinkünfte, die Regalien ge- 
wisser Länderstriche und sogar — entsprechend der damaligen lehens- und privatrechtlichen Rechts- 
auffassung vom Staat und Staatsgebiet — dieses letztere selbst mussten verpfändet werden. Viele 
Territorialveränderungen im Mittelalter sind darauf zurückzuführen, dass solche Pfänder schliesslich 
nicht eingelöst werden konnten. Dabei waren es meist einzelne wenige Gläubiger, mit denen paktiert 
wurde, Fürsten, reiche Kaufleute und Bankiers. Die Vertragsform war eine privatrechtliche. 
Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass wir die ersten Vorbilder heutigen 
öffentlichen Schuldenwesens früher im Städte- als im Staatswesen vorfinden. Vor allem sind 
es die geschlossenen italienischen Städteorganismen des Mittelalters, die zuerst eine so wirt- 
schaftlich erstarkte Bevölkerung, eine so gute und straffe Organisation für ihr Herrschafts- 
gebiet zeigten, dass sie öffentlich zur Gewährung von Darlelien an die Regierung auffordern, Städte- 
oblisationen im heutigen Sinne ausgeben und auch bereits Stadtschuldbücher einrichten konnten. 
In der Hansazeit sind dann die grösseren deutschen Handelsstädte ihrem Beispiele gefolgt. 
Was die Schulden der deutschen Fürsten und Territorialherren anbelangt, so unterschied 
man hier zunächst von den reinen Privatschulden die sog. Kammerschulden, welche 
letzteren von dem Regierungsnachfolger anerkannt werden mussten, weil sie, wenn auch 
nur vom Landesherrn, nicht von den Ständen, doch im Interesse der Regierungsgewalt und damit 
des Landes gemacht wurden. Einen weiteren Schritt stellten die Landesschulden 
dar, Schulden, die. ursprünglich K hulden, von den Landständen als Landesschulden über- 
nommen oder von ihnen ganz neu aufgenommen waren und aus ihren Steuerkassen verzinst 
und getilgt wurden, während für die Kammerschulden die landesherrliche oder Hofkasse zu 
haften und zu sorgen hatte. 
Die absolute Monarchie, wie sie sich später in Preussen und anderwärts ausbildete, räumte 
wie mit dem Unterschiede von Kammer- und Landesgut auch mit dem von Kammer- und Landes- 
schulden auf. Anleihen, die der König als Oberhaupt des Landes machte, wurden ohne weiteres 
Staatsschulden. Aber — zu einem Appell an den öffentlichen Geldmarkt gelangte man damit immer 
noch nicht. Zunächst war noch die Form der Anleiheaufnahme auf Grund privatrechtlicher Ver- 
träge mit einzelnen Bankiers. oft des Auslandes, mit kurzfristigen Rückzahlungsbedingungen usw. 
massgebend. Erst allmählich ging man zu Inhaberobligationen, Staatsschuldscheinen über. 
Zu einer ausgedehnteren Anwendung dieser neuen Schuldform der Staatsanleihen 
unter Anrufung des in- und ausländischen Geldmarktes konnten erst folgende Umstände führen: 
Einmal die Veröffentlichung des Staatshaushaltsetats, die der Allgemeinheit einen Einblick in die 
staatliche Finanzgebarung eröffnete (in Preussen, wenn auch in beschränktem Masse, seit: 1820), 
ferner die Einführung des Verfassungsstaates, welcher der Vertretung des Volkes das Recht ge- 
währte, zur Aufnahme von Anleiben und zur Bereitstellung der zur Verzinsung und Tilgung erforder- 
lichen Mittel im Steuerwege seine Zustimmung zu erteilen und damit die Haftung des ganzen Landes 
für die Laudesschuld ausdrücklich anzuerkennen, endlich in letzter Linie der enorme wirtschaft- 
liche Aufschwung, welcher seit dem !9. Jahrhundert in den grossen Kulturstaaten des Kontinents 
genug Kapitalisten erstehen liess, die ihre überflüssigen Mittel in Staatspapieren anlegen konnten. 
Die damit eingeleitete Staatsschuldenperiode seit Beginn und Mitte des 19. Jahrhunderts 
weist im einzelnen wichtige Entwickelungsphasen auf. Anfänglich machte die Sicherheit der 
Gläubiger sowohl die Verpfändung gewisser Staatsgüter und Staatseinnahmen, wie die 
vertragliche Verpflichtung des Staats zur Rückzahlung des geliehenen Kapitals notwendig, 
bis später als einzige Sicherung der Gläubiger, selbst bei Anleihen fiir bestimmte Sonderzwecke, 
wie für produktive Anlagen (Eisenbahnen), lediglich die moralische Verpflichtun 
eines Staates, der gute Wille und die Fähigkeit der Regierung, ihre Ubliegeuheiten 
zu erfüllen, von den Gläubigern als genügende Sicherheit anerkannt und von diesen sogar
	        
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