150 Otto Schware, Die öffentlichen Kredite.
die Reichsanleiheschuld von Jahr zu Jahr, jedoch anfänglich in durchaus mässigem Tempo. Anfang
1882 war die fundierte Reichsschuld erst auf annäbernd 300 Mill. M. gestiegen, wovon 88 Mill. für
Post, Telegr. u. Eisenbahnen und 48 Mill. für Durchführung der Münzreform, also ein erheblicher
Teil für sog. produktive Zwecke ausgegeben worden waren. Auch in den nächsten Jahren stieg
die Reichsschuld zunächst noch langsam an bis 1886. Seit 1887 aber vermehrte sie sich in weit
stärkerem Tempo wie bisher. Und zwar überwogen nunmehr immer mehr die Heeres- und Flotten-
anleihen gegenüber den produktiven Anleihezwecken. Sehr begünstigt wurde die Schuldenauf-
nahmedurch die Einführung desausserordentlichen Etats im Reiche, welcher mit dazu
verführte,!°) die zur Etatsbalancierung fehlenden ordentlichen Einnahmen durch Anleihen im
eusserordentlichen Etat zu ersetzen, indem man Ausgaben, die eigentlich ihrer wirtschaftlichen
Natur nach in den ordentlichen Etat gehörten, in den ausserordentl. Etat einstellte. Der Versuch
im Jahre 1893/94 u. 1894/95, durch eine Reichsfinanzreform die laufenden Einnahmenquellen des
Reiches zu erhöhen, scheiterte leider, und so blieb der Reichsregierung zur Durchführung ihres
militärischen und Flottenprogramms kaum anderes übrig, als den ausserordentlichen Etat und
das Anleihekonto übermässig zu belasten. Von dieser Zeit an muss man die schleichende
Finanzkrankheit datieren, welche über ein Jahrzehnt die Gesundheit der Reichsfinanzen
untergrub und schliesslich zu einer akuten Finanzkrise in den Jahren 1906 bis 1909 führte,
die durch eine sehr einschneidende Sanierung mittelst der Reichsfinanzreformen von 1906 und
1909 geheilt werden musste. Namentlich in dem Gebiete der Heeres- und Marineverwaltung waren
es eine Anzahl von Ausgaben, die ihrer Natur nach keinesfalls eine Deckung aus Anleihe recht-
fertigten und die auf Anleihe zu nehmen man in Frankreich und auch in England nicht dachte.
So wurden Ausgaben zur Heeresverstärkung, Truppendislokationen, Steigerung der Operations-
und Schlagfertigkeit des Heeres, Komplettierung des Waffenmaterials, Torerweiterungsbauten,
Garnisoneinrichtungen, Kasernenbauten auf Anleihe übernommen, im Gebiete der Marinever-
waltung wurden Armierungskosten durch Anleihe gedeckt usw.
Dadurch steigerten sich die Ziffern der Schuld allmählich bis 1901 auf 2315,6 Millionen Mark.
Erst im Jahre 1901, nachdem sich die Reichsschuld mittlerweile auf 2,3 Milliarden M.
erhöht hatte, wurde in dieser Verschuldungsfreudigkeit insofern etwas Wandel geschaffen, als
Regierung und Reichstag bestimmte Grundsätze vereinbarten, welche Arten von Ausgaben
allein in Zukunft auf Anleihen verwiesen werden sollten. Diese Grundsätze sind enthalten in einer
Denkschrift zum Etat 1901. Eine weitere Ausbildung erfuhren sie in einer Denkschrift zum
tat für 1907.
Danach sollen auf die Anleihe nur verwiesen werden’
1. im Bereiche des Reichsamts des Innern: die Kosten der diesem Reichsamt übertragenen
Wohnungsfürsorge (Baudarlehen und Geländeerwerb für Erbbauzwecke), ferner etwaige grössere
bauliche Änderungen am Kaiser-Wilhelm-Kanal, die schon wegen des erheblichen Aufwandes über
den Begriff der laufenden Unterhaltung und der durch die regelmässige Fortentwicklung des Verkehrs
bedingten Erweiterung hinausgehen;
bei dr Heeresverwaltung:
a) die Ausgaben für Festungszwecke,
b) die Kosten für die Vervollständigung des deutschen Eisenbahnnetzes im Interesse der Landes-
verteidigung;
bei dr Verwaltung der Kaiserlichen Marine: diejenigen Ausgaben, welche zur
Weiterentwicklung der Marine bestimmt sind. Bei den Ausgaben für Schiffsbauten wird der zur Er-
haltung des bestehenden Zustandes notwendige Betrag mit 6%, vom Schiffbauwerte der Flotte auf
ordentliche Mittel, der Mehrbedarf in Gestalt eines Zuschusses des aussorordentlichen Etats auf
Anleihe übernommen. Dabei sollen Schiffsbaukosten für die Übernahme auf Anleihe — unter Ein-
beziehung auf die Schiffsbaugemeinschaft bei den einmaligen Ausgaben des Marine-Etats — nuı
in Frage kommen, soweit es sich um Schiffe oder Fahrzeuge handelt, welche die Kriegsflagge zu führen
berechtigt sind und mit ihren Indiensthaltungskosten demgemäss dem Kapitel 52 des Marine-Etats
zur Last fallen. Die Baukosten aller übrigen Fahrzeuge werden auf den ordentlichen Etat verwiesen.
Ausgaben für die artilleristische, Torpedo- oder Minenarmierung der Schiffe sind von der Übernahme
auf die Anleihe ausgeschlossen;
»
w
) 5. O. Schwarz, Formelle Finanzverwaltung. Berlin 1907, S. 21.