8 Georg «. Below, Deutschkonservatire und Reichspartei.
Stärkung der Selbstverwaltungskörper, einer Einschränkung der Staatsaufsicht und einer Dezen-
tralisierung der Verwaltung überhaupt das Wort. Freilich lehnen sie die (in den Kreisen der ‚‚frei-
sinnigen Volkspartei‘ erhobene) Forderung der vollständigen Verlegung des Schwerpunktes der
ganzen Verwaltung in die kommunalen Selbstverwaltungskörper ab.“)
Gehen wir zu der materiellen Staatstätiekeit über, so ergibt sich schon aus der Stellung der
Konservativen zur nationalen Frage, dass sie für die wirksame Sicherung des Staats nach aussen
und eine energische äussere Politik eintreten. Aber auch die ganze Geschichte zumal der preussischen
Konservativen führt eben dahin. In älterer Zeit sympathisierten die Parteien in der auswärtigen
Politik mit denjenigen Staaten, deren Verfassung den eigenen Verfassungsidealen nach Möglichkeit
entsprach. Seit Bismarck ist dies anders geworden: heute richten nur noch die ganz links stehenden
Parteien ihre Stellung zur auswärtigen Politik nach den eigenen Verfassungsidealen ein. Die andern
Parteien fragen lediglich: welche auswärtige Politik wird durch das Interesse unseres Volks ge-
fordert ?
Die Erhaltung und Sicherung des Staats ist etwas Elementares; sie muss das prius aller
Politik sein. Was hilft alle Diskussion über die schönsten Kulturaufgaben des Staats, wenn man
nicht dafür sorgt, dass er und der Bestand der Nation erhalten bleiben) Es ist ein Ruhm der
Konservativen, dass sie sich zuerst von allen Parteien diesen Gedanken vollkommen zugänglich
gezeigt haben. Hiernach versteht es sich von selbst, dass sie stets für ein starkes Heer und eine
starke Flotte eintreten. Man stellt es oft so dar, als ob sie als einseitige Agrarier für die Flotte im
Grunde nichts übrig hätten, sogar ihre Gegner wären. Gewiss führt den agrarischen Teil der Kon-
servativen, vom kurzsichtig egoistischen Standpunkt aus betrachtet, nichts dahin, eine besondere
Verstärkung der Flotte zu wünschen. Allein das entscheidende ist, dass solche kurzsichtig egoisti-
schen Erwägungen die Haltung der Konservativen nicht bestimmen.) Gerade ihr Eintreten für
eine starke Flotte beweist, dass sie sich nicht lediglich von agrarischen Interessen leiten lassen. Und
derselbe Beweis liegt in ihrer Befürwortung einer energischen Kolonialpolitik. Sie fassen dies alles
unter dem allgemeinen nationalen und staatlichen Gesichtspunkt auf: das Interesse des Volks-
ganzen verlangt ein starkes Heer, eine starke Flotte, eine energische Kolonialpolitik.
Venn, wie bemerkt, die Konservativen die Unentbehrlichkeit eines starken Heeres früher
als die andern Parteien erkannt haben, so hat sich die konservative Auffassung mehr und mehr
auch bei diesen Bahn gebrochen: sie hat damit einen grossen Siegeszug gehalten. Anfangs verhielten
sich selbst die Nationalliberalen noch zagend gegenüber den Heeresforderungen der Reichsregierung
(man denke an die schwierigen Verhandlungen über das Septennat zu Laskers Zeit). Etwa seit der
Abtrennung der Sezessionisten von den Nationalliberalen sind diese aber stets mit ganzer Secle
bei der Fürsorge für ein starkes Heer gewesen. Allmählich fasste auch beim Zentrum die Über-
zeugung Boden, dass ein starkes Heer unentbehrlich sei. Die Freisinnigen hatten noch nach Ein-
führung der zweijährigen Dienstzeit die Heeresforderungen abgelehnt. Eine Annäherung an den
konservativen Standpunkt bedeuten für sie namentlich die Reichstagsdebatten vom Dezember
1906 und der bis zum Jahre 1909 bestehende Reichstagsblock.
Einen ähnlichen, freilich bisher noch nicht so vollständigen Siegeszug der konservativen
Anschauungen beobachten wir auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik. In dem Programm von
1876 war dem Manchestertum der Krieg erklärt worden; man hatte jedoch noch nicht Schutzzölle
verlangt. Die Mehrzahl der preussischen Konservativen (speziell auch der ostdeutschen Land-
wirte) huldigte in der Zeit vor 1878 dem Freihandelsprinzip. Die damals sich vollziehende Ver-
änderung der weltwirtschaftlichen Lage und die Wirtschafts- und Steuerpolitik Bismarcks be-
stimmten jedoch die deutschkonservative wie die freikonservative Partei, die Schutzzölle für
& > Vortreffliche Bemerkungen zu diesem Thema bei J. V. Bredt, Ztscohr. für Sozialwissenschaft 1911,
2) Vgl. hierzu Dietrich Schäfer, Politische Geschichte, Deutsche Literaturzeitung 1911, Nr. 20, Sp. 1221 ff.
13) Der einzige Boweis, den man versucht hat, liegt in dem Hinweis auf das von einem Abgeordneten ge-
brauchte Wort von „der grässlichen Flotte“. Dieser hat es jedoch gebraucht, ehe er Mitglied der konservativen
Partei war, und ihm übrigens keine praktische Folge gegeben.