Otto Schwarz, Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen. 163
Der Abstand des gegenwärtigen Kurses gegenüber den Höchstkursen von Mitte der 90er
Jahre ist bei der französischen Rente rund 17 Prozent, bei den 3 % deutschen Anleihen 24
Prozent, bei den engl. Konsols fast 40 Prozent. Berücksichtigt man, dass die englischen Konsols
1897 noch 2%, %, Zins trugen und rechnet den damaligen Kurs (113,7) nach einem 214% igen Zins
um, so bleibt immerhin noch ein Kursrückgang von ca. 30 Prozent bestehen.
Ähnliche Entwickelungsgänge zeigen die österreichischen Staatspapiere, holländische,
belgische, schweizerische, schwedische, norwegische, dänische Staatsfonds.
Weiter muss aber berücksichtigt werden, dass Hand in Hand mit diesem Rückgange der
Bewertung erstklassiger Werte der ältesten, u. z. Teil grössten Kulturstasten Europas eine
steigende Wertschätzung der Staatspapiere kleinerer, vor 2 bis 3 Dezennien zum Teil
noch notleidender europäischer und aussereuropäischer Staaten einhergegangen ist.
Dass all’ diese Kursverschiebungen bei der eminenten Wichtigkeit der öffentlichen Verbände,
um deren Kredit es sich handelt, und den gewaltigen Milliardensummen, die dabei in
Frage kommen (die Schulden von England, Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn be-
tragen allein ca. 80 Milliarden, die Schulden aller Stasten der Welt ca. 200 Milliarden Mk.) zahl-
reiche und ernste Erörterungen in Publikum, Presse und Parlamenten hervorgerufen haben und
noch hervorrufen, kann nicht wundernehmen.
A. Ursachen der Kursrückgänge der Staatspapiere und vorgeschlagene Massregeln
zur Abbhilie.
Dieser Ursachen ist eine grosse Anzahl. Ihre Bedeutung ist aber eine sehr verschiedenartige.
Wir werden versuchen, die wichtigsten derselben un ge fährinder Reihenfolge ihrer Bedeutung zu
behandeln und dabei zugleich die zur Abhilfe empfoblenen Massregeln mit erörtern.
1. Fehler der Emissionstechnik.
Tbeoretiker und Praktiker haben namentlich in Preussen der Staatsregierung häufig
fehlerhafte Emissionstechnik zum Vorwurf gemacht, Diese Vorwürfe sind zum Teil berechtigt,
So ist unter anderen in den 80er Jahren und Anfang der 90er Jahre der Fehler gemacht
worden, durch fortwährenden freihändigen Verkauf kleinerer und grösserer Posten Staats-
anleihen den Markt dauernd unter Druck zu halten. Man hat mehrfach zu ungünstigem
Zeitpunkte emittiert (zu spät im Jahre 1903), kurz vor dem Ausbruch des russisch-
japanischen Krieges (1904). Das häufig uneinheitliche Vorgehen von Kommunen, Bundes-
staaten und Reich bei Emittierung ihrer Anleihen ist nicht zu billigen, freilich auch nicht leicht
zu beseitigen. Was die Massnahmen behufs guter Klassierung der Anleihen anbetrifft, so sind
die ernsten Zeichner, namentlich in früherer Zeit — neuerdings ist das erheblich besser geworden —,
oft nicht genügend vor den sog. Konzertzeichnern bevorzugt worden. Man ist wohl manchmal
zu ängstlich gewesen, den „Banken die Finger zu vergolden‘, und hat die Marge und Bonifikation
der Banken zu gering bemessen, um diese Institute an dem Vertrieb und der Empfehlung des An-
kaufs von Staatspapieren hinreichend zu interessieren. Bei grossen Summen wäre vielleicht zur
Erleichterung der Klassierung eine grössere Difterenz zwischen Tageskurs und Übernahmekurs
richtig gewesen, als sie im allgemeinen üblich ist. Die Form der Staffelanleihe (1908) war an-
greifbar, ebenso das Verfahren der Preussischen Regierung in 1908, keinen bestimmten Schuldbetrag
bei der Emission zu nennen, in 1909, die Wahl zwischen 4 % und 31, % Titres freizustellen usw. Auf
diesem Gebiete ist zweifellos manches zu bessern und unsere Finanzverwaltungen haben in
neuerer Zeit auch ernstlich versucht, zu einer besseren Emissionstechnik vorzuschreiten.
So wichtig eine gute Emissionstechnik ist, so darf man ihre Wertschätzung doch
nicht so hoch anschlagen, dass man aus den von der Regierung gemachten Fehlen etwa
den gewaltigen Rückgang der Kurse unserer Staatspapiere auch nur annähernd würde
erklären können.
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