164 Otto Schwar«, Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen.
2.Kaufund Verkauf von Staaststitres Stückelung. Staatsschuld-
bücher.
Anerkanntermassen hat die starke Demokratisierung und Popularisierung der fran-
zösischen Rente, der überaus breite Markt, der dadurch für sie geschaffen wird — man nimmt
an, dass in Frankreich über die Hälfte aller Börsenoperationen in Rente abgeschlossen wird und dass
der Rentenbesitz unter 2—3 Millionen Besitzer verteilt ist — viel zur Stabilisierung des Kurses
der französischen Rente beigetragen. Erreicht worden ist diese Demokratisierung vor allem durch
die Stückelung der Rententitres bis zu 2 und 3 Frs. herab und durch die leichte Möglichkeit des
Rentenan- und -verkaufs bei allen Steuereinnahmestellen. Couponeinlösungsstellen für Staats-
rente gibt es in Frankreich an 6000.
In beiden Hinsichten steht hinter Frankreich namentlich England zurück. Infolge
des starken Rückganges der Konsolkurse macht sich indessen in England schon seit Jahren
eine starke Bewegung für grössere Popularisierung und Erleichterung der Übertragungsmöglichkeit
der Konsols geltend. Sie hat dahin geführt, dass man neuerdings durch Vermittelung der Post-
ämter schon für die kleinsten Summen, von 1 sh an, gegen eine geringe Kommissiönsgebühr
Staatsgläubiger werden kann.
Was die Stückelung der Staatspapierein Deutschland anbelangt, so geht sie in Preussen
und einigen anderen Staaten, wie Oldenburg, Sachsen bis zu 100 Mk., im Reiche und in Baden,
Bayern, Braunschweig, Hessen, Lübeck, Württemberg bis zu 200 Mk., in Hamburg und Bremen
nur bis 500 Mk. herab. Bei uns sind also kleinere und mittlere Kapitalbesitzer sehr wohl in der Lage,
ihre Kapitalien in Staatspapieren anzulegen. Neuerdings ist in Preussen die Verkaufs- und
Ankaufsmöglichkeit dadurch erleichtert worden, dass der Verkauf von Reichs- und Staats-
papieren durch die Seehandlung provisionsfrei und an Bankiers und Sparkassen auch courtage-
frei erfolgt.
Weiter hat man in Deutschland, wo die Form der Staatsverschuldung im Gegensatz zu Eng-
land und Frankreich ursprünglich diejenige der Inhaberpapiere war, seit 1881 mehrfach
Staatsschuldbücher und ein Reichsschuldbuch eingeführt, um dem Staatsgläubiger die Über-
führung der Inhaber- in eine Buchschuld zu ermöglichen (s. darüber Näheres unter „Öffentl.
Kredite‘), ein Vorgehen, in dem die Absicht einer Erschwerung häufigeren Umsatzes der
Staatspapiere hervortritt.
Hat das zielbewusste Vorgehen Frankreichs auf diesem Gebiete der Rente einen starken
widerstandsfähigen Markt geschaffen, so darf der Erfolg dieser Massnahmen doch auch nicht über-
schätzt werden. Die grossen englischen Banken und Gesellschaften haben jahrelang sehr grosse
Verluste in ihrem Staatspapierbestand erlitten, ehe sie denselben eingeschränkt haben. Ob der
kleine Rentner, der genauer rechnen muss, bei starkem Sinken der Rentenkurse, namentlich in
gefahrvollen, in Kriegszeiten ebenso so lange aushalten würde, ist zweifelhaft. Auch sonst ist
es fraglich, ob eine so starke Demokratisierung der Rente, wie sie sich in Frankreich vorfindet,
trotz ihrer unleugbaren Vorteile für die Kursgestaltung als restlos idealer Zustand anzusehen
ist, da sie die Regierung nötigt, bei allen ihren politischen und wirtschaftlichen Massnahmen
in einem Masse deren Rückwirkung auf die Rentenkurse in Rücksicht zu ziehen. die kaum
immer dem staatlichen allgemeinen Interesse dienlich erscheint.
3. Zinspolitik. Konvertierungen.
Von grösserer und nachhaltiger Bedeutung für den Rentenkurs als die mehr formalen
Massnahmen der Emission und Umsatzmöglichkeiten ist die materielle Zinspolitik
des kreditnehmenden Staates. Hier sind es namentlich die Kapitalskündigungen und Zinsenherab-
eetzungen bei sinkendem Landeszinsfuss, die Konvertierungen, welche vielfach als eine der
Hauptursachen des Rückganges der Staatsanleihel geführt werden. In Frage kommen nament-
lich für England die Goschen’sche Konvertierung aus dem Jahre 1888, durch welche 560 Mill. «
3 % Konsols in 2%, %, mit weiterer automatischer Zinsermässigung auf 2), % vom Jahre 1903 ab,
konvertiert wurden, und für Deutschland die Konvertierungen mehrerer Bundesstasten aus
Mitte der 80er Jahre von 5 und 41, in 4 %ige und ferner die grossen Konversionen von 4 % in