166 Otto Schwarz, Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen.
Es ist klar, dass durch ihre Steuerfreiheit die französische und italienische
Rente gesenüber anderen einheimischen festverzinslichen Werten einen so erheblichen Vorsprung
haben, dass er deutlich im Kurse zum Ausdruck kommen muss. !
Einen wirtschaftlichen Vorteil haben alle Staaten ihren Staatsfonds durch Beilegung
des Charakters der sog. Mündelsicherheit geschaffen. In neuerer Zeit ist dieser Vorteil
freilich vielfach auch den Schuldobligationen anderer öffentlicher Körperschaften zuteil geworden.
Die weiteste Ausdehnung des Kreises der mündelsicheren Werte hat in England durch Auf-
nahme der Kolonialwerte in die Liste der Trustee securities stattgefunden, und ohne Zweifel
hat diese Massnahme ganz besonders mit zu dem ausserordentlich
starken Kursrückgange in jenem Lande beigetragen.
B. Zwangsanlagen.
Die Staaten haben sich, um die Unterbringung ihrer Staatsschuldscheine zu fördern, nicht
derauf beschränkt, ihren Gläubisern besondere steuerliche und wirtschaftliche Vorteile zuzusichern.
Auch vor einem direkten Zwange gewisser Institute und Gesellschaften zum Ankauf von
Staatspapieren ist man nicht zurückgeschreckt. Dies ist namentlich der Fall gewesen in Frank-
reich, England, Ver. Staaten und Italien, erst neuerdings auch in Deutschland.
In der Tat kann die Schaffung einer ständigen Nachfrage nach Staatspapieren
seitens der genannten Institute und Gesellschaften gewisse Kursbesserungen und eine Kursstabili-
sierung zur Folge haben.
a) Öffentliche Sparkassen.
In England wie in Frankreich und Italien müssen die sämtlichen Einlageüberschüsse oder
doch der weitaus grösste Teil derselben und das Vermögen der Sparkassen in Staaispapieren an-
gelegt werden. Eine solche Bestimmung in Deutschland durchzuführen, würde schon deshalb
nicht angängig sein, weil sich hier das Sparkassenwesen ganz anders entwickelt hat, wie in jenen
Ländern. Dort ist letzten Endes der Staat derjenige, welcher den Einlegern einen gewissen
Zins garantiert und daher auch die Auswahl der Anlagewerte bestimmen kann. Entstehen dabei
Verluste, so muss er konsequenterweise zu deren Deckung mit eigenen Mitteln einspringen und hat
dies auch getan. Bei uns sind es dagegen Gemeinden und weitere Kommunal-
verbände, welche etwaige Verluste zu tragen haben. Diese Verbände würden sich nur an den
Einlegern durch Verringerung der ihnen zugesicherten Zinsquoten schadlos halten können oder die
ihnen aus den Sparkassenüberschüssen zufallenden Gelder vermindert sehen. Von einer Zwangs-
anlageverpflichtung in dem Umfange wie in E. und F. kann schon aus diesem Grunde nicht die
Rede sein. Es kommt hinzu, dass nach der ganzen historischen Entwickelung unseres Spar-
kassenwesens der Hypothekenmarkt auf die Unterstützung durch Sparkassengelder in einer
Weise angewiesen ist, dass cine völlige Entziehung derselben die grössten wirtschaftlichen Schäden
hervorrufen könnte. Ähnliches gilt für Österreich.
Auf der anderen Seite lässt sich ininmässigenGrenzengehaltenerZwang
für die Sparkassen, einen Teil ihrer Gelder dem Staatspapiermarkte zuzuführen, ganz abgeschen
von den Rücksichten auf den Staatskredit, schon durch die heute zweifellos nicht genügende Li-
quidität unserer Sparkassen rechtfertigen. (Näheres in unserer Sonderbroschüre S. 15 £f.)
In Preussen hat man daher neuerdings — nach einem vergeblichen Versuche im Jahre
1906 — durch Ges. vom 23. Dez. 1912 (G.-8. 1913 8.3.) bestimmt. dass die kleineren Sparkassen
(bis 5 Mill. Einlagen) 15%, di’ mittleren (bis 10 Mill. Einl.) 20%, die übrigen 25% des Ver-
mögens in mündelsicheren Inhaberobligationen und davon 3], in Schuldverschreibungen des
Deutschen Quiehs oder Preussens anzulegen haben. Die Anlage erfolgt aber erst allmählich
($3 a. a. O.).
b) Pensions-, Öffentliche Versicherungsanstalten usw.
In Preussen und im Reiche hat man den Gedanken der Schaffung von Zwangsanlagen noch
in anderer Richtung verfolgt. Infolge einer Resolution des Hauses der Abgeordneten vom
10. Juni 1910 (Sten.-Ber. Sp. 6943) hat der Minister der öffentlichen Arbeiten angeordnet, dass