Otto Schwar«, Der Kurs der deutschen Reichs- und Stantsanleihen. 173
bei Neuemissionen den veränderten Marktverhältnissen durch schnellere Anpassung an den
jeweiligen allgemeinen Zinsfuss Rechnung tragen, wobei die Politik der Pfandbriefinstitute
ihnen vorbildlich sein kann. Sodann müssen sie in der Schuldenvermehrung grössere
Zurückhaltung üben und müssen für eine fortdauernde angemessene Tilgung sorgen.
Endlich müssen sie der Emissionstechnik, der Entwickelung des Marktes und seiner Pflege
ihre dauernde und vollste Aufmerksamkeit widmen, dürfen den Markt nicht „sich selbst
überlassen“, und müssen behufs Intervenierung mit Tilgungs- und sonstigen zur Verfügung
stehenden Staatsgeldern rechtzeitig am Platze sein. Die Einführung gesetzlichen Zwanges
zur Anlage gewisser Gelder und Vermögenswerte von Instituten und Gesellschaften, die
ihre Mittel besonders liquide zu gestalten haben, dem Staate besondere Kosten für ihre Beauf-
sichtigung verursachen oder besondere Vorteile von ihm geniessen, ist ins Auge zu fassen, wird
eich aber in Grenzen zu halten haben, welche nachhaltige allgemeinwirtschaftliche Schäden aus-
schliessen.
Den Staatsgläubigern müssen die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zum
Bewusstsein gebracht haben, dass die Forderung unbeweglichen Zinsfusses und gleich-
zeitig stabiler Kurse eine unerfüllbare Utopie ist, und dass die grösste Sicherheit
des Staatskredits die Kurssenkungen, welche die Erhöhung des allgemeinen
Kapitalgebrauchswertes hervorruft, in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur
nicht verhindern kann. Wer in der ersten Hälfte der 90er Jahre, wo die Kurse der 3%
und 31,4% Staatspapiere im Laufe von 5 Jahren um 7 bezw. 14%, gestiegen waren, wo
die wirtschaftliche Unternehmungslust auf dem Nullpunkt stand, der Kapitalnutzungswert ein
minimaler war und das Kapital, scheu geworden durch grosse wirtschaftliche Krisen und
finanzielle Zusammenbrüche vieler Staaten, die Sicherheit von Kapital und Zins aufs
höchste bewertete — wer damals Anleihen kaufte, in der Meinung, dass sich bei so geringer Ver-
zinsung jene hohen Kurse dauernd halten liessen oder gar noch steigen würden, hat eben die Grund-
lagen der Preisbildung für Staaspapiere verkannt und kann hierfür nicht lediglich den Staat ver-
snwortlich machen, selbst wenn die Staatsbehörden s. Zt. dem gleichen Irrtum unterlagen.
Die so gewonnene Erkenntnis muss zugleich den heutigen Rentenbesitzer und
denjenigen, der einer Neuemission von Staatspapieren gegenübersteht, mit der Überzeugung
erfüllen, dass mit rückläufiger Entwickelung der Wirtschaftskonjunktur und der allgemeinen Zins-
verhältnisse, die sich nach Erfahrung und nach allgemeinen Wirtschaftsgesetzen immer mit
Zeiten aufsteigender Tendenz ablösen werden, auch das Kursniveau der Staatspapiere wieder eine
ansteigende Richtung nehmen wird. Mit dem Umschwung der Konjunktur, der in absehbarer
Zeit eintreten muss, und mit den damit zumeist verbundenen wirtschaftlichen Zusammenbrüchen
und oft auch finanziellen Schwierigkeiten kreditschwacher Staaten wird der Sicherheits-
faktor der Kapitalsanlagen wieder stärker in den Vordergrund treten. Dann werden auch den
Staatswerten wieder zahlreiche Freunde und Käuferschichten zugeführt werden.