176 Friedrich Zahn, Das Deutsche Volk.
Handbuch von Mosse und Tugendreich über „Krankheit und Soziale Lage“. München 1913. — F. Zahn und
Jos. Kleindinst, Bekämpfung der sozialen Krankleitsursachen durch den Staat. Ebenda München 1913. —
Karl Kindermann, Die Führer im modernen Völkerleben. Stuttgart 1910. — Friedrich Naumann,
Neudeutsche Wirtschaftspolitik. 3. Aufl. Berlin 1911. — Andrew Carn egie ‚ Kapital und Arbeit.
Leipzig 1912, — Statistik des deutschen Reichs Bd. 211 (Berufsstatistik 1907). — Reichs-Arbeitsblatt 1913 mit
den Artikeln: Gliederung der deutschen Lohnarbeiterschaft. Die Angestellten in Deutschland. Die ausländischen
Wanderarbeiter in Deutschland.
Inhalt:
Einleitang. — I. Wachstum des Deutschen Volkes. — II. Das Deutschtum im Ausland. —
. Binnenwanderungen in Deutschland. — IV. Grössere Binnenmischung unseres Volkes nach
Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltung, Muttersprache, Stuntsangehörigkeit, Religion. —
Y. Änderungen im beruflichen Aufbau des Volkes. — VI. Soziale Umschichtung des Volkes. —
Schluss.
Einleitung.
Ausgangspunkt und Ziel der Politik ist das Volk. .
Ausgangspunkt ist es insofern, als die Politik bedingt wird und abhängig ist von der Be-
schaffenheit des Volkes, Das Niveau, die Art, die Intensität der Politik, insbesondere der
Wirtschaftspolitik, wird von der Grösse, der natürlichen, sozialen und beruflichen Gliederung des
Volkes entscheidend beeinflusst. Nach der quantitativen Höhe und qualitativen Reife der Be-
völkerung bemisst sich ganz wesentlich der Erfolg der Politik.
Aber die Politik hat auch die Bevölkerung zum Ziel. Ist doch das kostbarste Gut eines Volkes
die Volkskraft, das Volk selbst. Es ist das organische Nationalkapital, das in weitem Umfang
Mutterboden der Kultur und der wirtschaftlichen Produktivität darstellt. Die Kräfte des Volkes
müssen — nach Art andrer wertvoller Kapitalien — daher von der Politik so gebraucht werden,
dass hierbei Entwicklungswerte geschaffen werden, ohne dass das Volk selbst in seinem inneren, in
seinem Kapitalwert beeinträchtigt wird. Nur ein Volk mit den besternährten, organisch gepflegten
Individuen entfaltet auch die höchste wirtschaftliche Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit, die
grösste Reproduktivkraft. Die Politik muss daher letzten Endes organisches Kapitalisieren sein,
sie muss darauf abzielen, unser organisches Kapital nach Quantität und Qualität zu erbalten
und zu fördern, um so die grösstmögliche Vollendung des Einzelnen und der ganzen Nation
herbeizuführen.
Gleichwie die beste Theorie unentbehrlich für die beste Praxis, so erscheint die Kenntnis
von unserem Volk in seiner natürlichen, sozialen und beruflichen Gliederung und seinen Entwick-
lungstendenzen notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Politik,
für die Politik überhaupt.
I.
Wachstum des Deutschen Volkes.
Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 wurden im Deutschen Reich auf einer Fläche
von 540 857,62 qkm 64,9 Millionen Einwohner gezählt, die bis Mitte 1913 sich auf 67 Mil-
lionen vermehrt haben. Eine grössere Bevölkerung als Deutschland haben von den wichtigeren
Kulturstaaten die Vereinigten Staaten von Amerika mit 92,0 Millionen nach dem Zensus von 1910
und Russland mit 168 Millionen anfangs 1911. Die übrigen Länder folgen erst in weitem Ab-
stand hinter Deutschland, obschon ihre räumliche Ausdehnung der deutschen zum Teil ziemlich
nahe kommt beziehungsweise sie noch übertrifft. Zieht man die Bevölkerung der deutschen
Schutzgebiete mit heran, die auf 12,9 Millionen zu veranschlagen ist, so ergibt sich als Gesamt-
zahl aller Angehörigen des Deutschen Reichs mit Einschluss der Kolonien rund 80 Millionen.
Damit erreicht Deutschland freilich bei weitem noch nicht die Bevölkerungszahl, über die das
grosse Britische Reich (420 Millionen), Frankreich mit seinen Kolonien (92 Millionen), die Ver-
einigten Staaten von Amerika (102 Millionen), das europäische und asiatische Russland (171
Millionen) und Chins (438 Millionen) verfügen.