242 Martin Weigert. Schutzzoll und Freihandel.
gegen England erlassenen Einfuhrverbote wurden in dem Zolltarif vom 8. April 1816 beibehalten
und auf Waren jeder Herkunft verallgemeinert.
e) In Preussen drangen die merkantilistischen Ideen zuerst unter Friedrich Wilhelm ]J.
ein, jedoch war es Friedrich dem Grossen vorbehalten dieses System auszubauen. Friedrich Wilhelm
I. verbot die Ausfuhr von Wolle 1723. Friedrich der Grosse beschränkte die Einfuhr von gewerb-
lichen Erzeugnissen durch hohe Schutzzölle und suchte die Ausfuhr von Rohprodukten möglichst
hintenanzuhalten. Die wirtschaftliche Zersplitterung des Landes durch zahllose Zolllinien bildete
jedoch ein grosses Hindernis; das Verbotssystem gelangte denn auch nur in den östlichen Provinzen
zur Anwendung, während im Westen französische und englische Waren gegen mässigen Zoll ein-
geführt werden konnten. Zu erwähnen sind aus der Zeit Friedrich des Grossen noch das Magde-
burger Transito-Zollsystem (1765—1768), das den grossen Durchfuhrhandel von Hamburg und
Lüneburg nach Schlesien, Sachsen, Thüringen aus einem Fremd- in einen eigenen Handel der Magde-
burger und Berliner verwandeln sollte und zum Teil sein Ziel erreichte. Ferner das schlesische
Transito - Zollsystem (von 1765), das den polnisch -sächsischen Durchfuhrhandel zu einem
schlesisch-preussischen machte, sowie endlich die Schliessung der ganzen Ostgrenzen für die polnische
Getreideausfuhr zum inneren Konsum. Friedrich Wilhelm II. hielt noch unerschütterlich an dem
merkantilistischen Handelssystem fest, während Friedrich Wilhelm III. bei seinem Regierungs-
antritt von den neuen freihändlerischen Ideen bereits berührt war. In den ersten Jahren seiner
Regierung stand er jedoch in handelspolitischer Beziehung noch stark unter dem Einflusse seines
Ministers Graf Struensee, der seine merkantilistischen Ansichten voll zur Geltung brachte. (Expose
vom 13. Februar 1803). .
d) InRussland wirkte Peter der Grosse (1689—1725) und Katharina II. (1762—1796
im Sinne des Merkantilismus. Spanien und Holland wandten die Lehren des Merkantilismus
besonders auf ihr Verhältnis zu den Kolonien an.
4. Die wissenschaftliche Kritik und Opposition gegen die merkantilistische Lehre durch die
Physiokraten.
Schon im 17. Jahrhundert regte sich eine wissenschaftliche Kritik und Opposi-
tion gegen die merkantilistischen Anschauungen: Pierre Boisguillebert
(Sur le regne pr&sent 1697 u. Dissertation sur la nature des richesses) wendet sich energisch gegen
die Ueberschätzung von Handel und Industrie gegenüber der Landwirtschaft. Ihm schloss sich
der Marschall Vauban (Projet d’une dixme royal 1707) an. Der Hauptvertreter dieser
Richtung, die in der Geschichte der Volkswirtschaft als „Physiokratismus“ bezeichnet
wird, war Frangois Quesnay, der besonders durch sein Tableau &conomique 1757 ein eigenes
wissenschaftliches System aufstellte und methodisch begründete. Die Grundlage seiner Lehre
ist die, dass nur die Gewerbe der Rohproduktion den Volkswohlstand zu heben vermögen.
Die Tätigkeit des Handwerkers und Kaufmannes sei zwar nützlich und nicht zu entbehren,
aber diese Gewerbetreibenden lieferten nicht neue Güter wie dies der Landmann vermöge der
Naturkraft des Bodens könne; wohl erhöhten sie durch Arbeit den Wert der Gegenstände, aber sie
verbrauchten dafür das Rohmaterial und verwendeten weitere Güter zum eigenen Unterhalt, wo-
durch der Wert ihrer Arbeit absorbiert werde; sie erlangten keinen Ueberschuss an Werten, keinen
„produit net”, der der Landwirtschaft allein vorbehalten sei. Die Landwirtschaft aber könne nur
gedeihen, wenn ihr der Vertrieb ihrer Produkte frei gegeben werde, damit sie den Preis erhielte, der
den Verhältnissen entspräche. Der Kaufmann werde durch seinen eigenen Vorteil dazu gebracht
die Waren dort zu kaufen, wo sie im Ueberfluss vorhanden und daher billig seien, um sie dorthin
zu führen, wo Bedarf vorläge und er sie teuer verkaufen könne. Sein Privatinteresse stehe mit dem der
Gesamtheit in Harmonie. Ebenso läge aber auch die Sache im internationalen Verkehr, in welchem
die Staaten je nach ihren natürlichen Verhältnissen (Bodenbeschaffenheit, Klima, Grösse der
anbaufähigen Fläche etc.) sich gegenseitig zu unterstützen bestimmt seien. Daher sei es die Aufgabe
einer vernünftigen Regierung alle künstlichen Hemmnisse zu beseitigen, wirtschaftliche Freiheit
herzustellen. Im Wirtschaftsleben walteten natürliche Gesetze genau so wie in der Entwickelung des