Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

358 Bernhard Harms, Weltwirtschaft und äussere Wirtschaftspolitik. 
Willen eines Einzelnen. Der Feldherr, dem das Kriegsglück hold war, schaffte das Imperium, 
stampfte es aus demBoden. Jede gewonnene Schlacht bedeutete Vergrösserung des Territoriums — 
Erweiterung der politischen Macht. Im Sinne der Weltherrschaftsideen jener Zeiten lag es, das 
Gebiet des eigenen Staates zu vergrössern, sich in den tatsächlichen Besitz des Landes anderer 
Völker zu setzen. .......... Jahrtausende gellt durch die Welt der Schrei: Vae vietis. Und, halten 
wir fest: Hinter dem allen der starke Wille eines Alexander, Cäsar, Augustus, eines Karl des Grossen 
Gregor, eines Napoleon, kurz einer gewaltigen Persönlichkeit. 
Wie ganz anders heute! Man versucht zwar auch bei uns, die Weltpolitik Deutschlands 
als den Willensausdruck Einzelner zu charakterisieren. So richtig es nun ist, dass Kaiser Wilhelm II. 
im Hinblick auf die aus der veränderten Weltstellung Deutschlands sich ergebenden Konsequenzen 
dem deutschen Volke ein Führer geworden ist, so falsch wäre es anderseits und bedeutete eine Ver- 
kennung der letzten Triebkräfte neudeutscher Geschichte, wenn eben diese veränderte Welt- 
stellung selbst auf ihn zurückgeführt würde. Für sie sind vielmehr ganz andere Faktoren mass- 
gebend gewesen, Faktoren, die sich dem bestimmenden Einfluss eines einzelnen entziehen. Denn 
für Deutschland ist Weltpolitik im wesentlichen Wirtschafts- 
politik. Teilhabe an den wirtschaftlichen Möglichkeiten auf dieser Erde, Spielraum und 
Ellenbogenfreiheit für wirtschaftliche Arbeit, wo immer sie sich lohnend erweist, das ist's, was als 
letzte Triebkraft hinter allen unseren weltpolitischen Aufgaben stelit. 
Weltpolitik und äussere Wirtschaftspolitik lässt sich aber für Deutschland auch noch enger 
formulieren. Sind wir nämlich darauf angewiesen, die Produkte unseres Gewerbefleisses zu expor- 
tieren, um überhaupt die Grundlagen unseres Daseins zu finden, so darf gefordert werden, dass 
unsere auswärtige Politik in der Schaffung und Erhaltung von Bezugsgebieten für Rohstoffe und 
Absatzgebieten für unsere Erzeugnisse eine ihrer wesentlichsten Aufgaben erblickt. Solche Politik 
erfordert hohe Meisterschaft und darf sich messen mit der Kabinettspolitik alten Stils. Denn auch 
andere Völker, mögen im übrigen Nationalitäten- und Rassenfragen bei manchen unter ihnen in 
grösserem Masse wirksam sein, als bei uns, sehen sich den gleichen Aufgaben gegenüber, wie wir. 
Dies gilt besonders von den grossen Mächten, die es bereits zum Abschluss ihrer nationalen 
Konsolidation gebracht haben. 
Denken wir an England, das sogar in viel grösserem Masse als Deutschland mit seiner ganzen 
wirtschaftlichen Existenz auf den Weltmarkt angewiesen ist. Für Grossbritannien bedeutet die Frage, 
den Weltmarkt besitzen oder verlieren: Sein oder Nichtsein. Und weil man in England fürchtet, 
dass das deutsche Volk ihm den Platz an der Sonne streitig machen könnte, eben deshalb jenes 
Problem, das heute und für absehbare Zeit alle Welt in Atem hält: England-Deutschland. 
Oder blicken wir auf die Vereinigten Staaten von Amerika! Es liegt etwas Bewunderns- 
wertes in der zähen Energie, mit welcher diese Nation weltwirtschaftliche Expansion nicht nur auf 
dem amerikanischen Kontinent. über Mittelamerika hinaus bis in die Republiken des südlichen 
Kontinents, sondern vor allen Dingen auch in Europa und neuerdings in Ostasien mit erstaunlicher 
Wucht betreibt. 
Oder gar Japan! Über Nacht in der Reihe der Grossmächte eingerückt, repräsentiert es ein 
Volk, das militärisch und politisch, nicht zuletzt auch kolonialpolitisch von zähem Willen und 
starkem Herrenbewusstsein beseelt ist. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass mit dem Ausgang 
des russisch-japanischen Krieges in der Geschichte Ostasiens eine neue Ära einsetzt und ein Teil 
jener Bedeutung, die das Mittelmeer durch Jahrtausende hindurch für die alte Welt hatte, einmal 
dem Stillen Ozean werden wird. Eine Entwicklung, die wir mit allen ihren Konsequenzen ständig 
im Auge zu behalten haben, 
Von Japan gleitet der Blick zu Russland und dem Panslawismus, der bei der Rassenzähigkeit 
der slavischen Völker und der stillen Beharrlichkeit gerade russischer Weltpolitik trotz allem, was 
im letzten Jahrzehnt Osteuropa aufgerüttelt hat — oder vielleicht gerade deswegen — Schritt für 
Schritt seinen Zielen näher kommt. 
Doch nicht allein diese Reiche treffen sich mit ihren wirtschaftlichen Interessen auf dem Welt- 
markt. Österreichs Politik auf dem Balkan, Frankreichs Expansion in Nordafrika, Italiens Bestreben,
	        
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