964 Georg Eger, Eisenbahnwesen.
einheitliches Gebilde, im innerpolitischen Sinne keine Einheit ist. Die bereits erwähnten Bestre-
bungen nach Herstellung einer deutschen Eisenbahngemeinschaft sind ergebnislos verlaufen. Aller-
dings ist für den grössten Teil des Reiches auch eine formelle Vereinheitlichung der Staatsbahnen
dadurch hergestellt, dass die preussischen Staatsbahnen auf Grund von Staatsverträgen sich weit
über das eigene Staatgebiet erstrecken. Den ersten Schritt zu einer deutschen Eisenbahngemein-
schaft sollte die Gründung der preussisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft erstreben. Diese un-
kündbare Verwaltungs- und Betriebsgemeinschaft ist durch das Gesetz vom 23. Juni_1896 be-
gründet worden.
Die Grundlage für die Betriebsgemeinschaft bildete der Ankauf und die Verstaatlichung
der hessischen Ludwigsbahn auf gemeinschaftliche Rechnung des preussischen und hessischen
Staates. Das Eigentum an der Bahn selbst ist aber nicht auf die Gemeinschaft als Gesamteigentum
übergegangen, vielmehr hat Realteilung dahin stattgefunden, dass die in den Staatsgebieten der
Vertragsstaaten belegenen Teile des Unternehmens in das Eigentum des betreffenden Staates über-
gegangen sind. Nur die Materialbestände und die Betriebsmittel sind gemeinschaftliches Eigentum
geworden. Zu der Betriebsgemeinschaft gehören ferner die oberhessische Bahn und die im Eigentum
des hessischen Staates stehenden Nebenbahnen und seit dem mit Baden ges hlossenen Staats-
vert age vom 15. Scptember 1901 auch die Main-Neckarbahn sowie die gesamten preussischen
Staatsbahnen. Neue preussische Ba’ nen treten unbedingt in die Gemeinschaft ein. Bei neuen
hessischen Bahnen finden Unterschiede statt. In die Betriebsgemeinschaft treten sie ein, es sei
denn, dass auf Wunsch Hessens eine Abweichung erfolgt. (Art. 6, Abs. 3.) In die Finanzgemeinschaft
treten neu angekaufte Bahnen nur ein, wenn der Eintritt von Preussen als erwünscht bezeichnet
wird. Von Hessen neu angelegte Bahnen treten in die Gemeinschaft nur auf Grund besonderer
Verständigung mit Preussen (Art. 11, Abs. 3 des Vertrages).
Im Artikel 22 des Staatsvertrages ist die Aufnahme anderer deutscher Eisenbahnverwaltungen
vorgesehen unter der Voraussetzung, dass die finanziellen Beziehungen nach den gleichen Grundsätzen
geregelt werden. Die in einigen Einzelstaaten vorhandenen Bestrebungen nach einem Anschluss an
die Gemeinschaft erhoffen von der Vereinheitlichung: bessere Verkehrsleitung durch Wegfall des
Wettbewerbs, bessere Ausnutzung der gesamten Bahneinrichturgen innerhalb des grösseren Unter-
nehmens, höhere Gewinne. Doch bestehen Bedenken: Infolge Aufgebens der eigenen Verfügungs-
gewalt Aufhören des Einflusses auf die Gesamtverwaltung, auf das Tarifwesen, auf die Beamten-
schaft, Verkehrsverschlechterung, da die grössere Verwaltung nur am Durchgangsverkehr interes-
siert ist. Auch wird befürchtet, dass die grössere Eisenbahngemei schaft dem kleineren Staat
weniger rentable Linien nicht bauen wird, es sei denn dass er sie mit grossen Opfern erkauft. In
dn Einzelstaaten wird die formelle Einheit des Eisenbahnwesens nur durch das Vorhandensein der
Privatbahnen gestört. Materiell ist ein einheitliches Eisenbahnnetz durch Gesetz oder auf Grund
des Eisenbahnhoheitsrechts durch Aufnahme von Bedingungen in Konzessionen herzustellen.
Staatliche Aufsicht — in Preussen durch die Präsidenten der Eisenbahndircktionen als „Eisenbahn-
kommissare‘‘ — muss hinzutreten. Im D.utschen Reich ist die matericlle Vereinheitlichung durch
die bereits erwähnte Vorschrift des Artik« Is 42 der Rrichsverfassung gewährleistet. Die Fürsorge
für die Durchführung dieses Grundsatzes übt das Reich durch den Erlass allgemeiner Anordnungen,
sowie durch Beaufsichtigung des Eisenbahnwesens aus. Als allgemeine Anordnungen, die der
Einheitlichkeit dienen, sind ergangen:
Die Eisenbahnbau- und Betricbsordnung vom 4. 11. 1904, RGBl. Fa
Die Eisenbahnverkehrsordnung vom 23. 12. 1908 RGBl. 09 S.
Die Sigmalordnung vom 24. 6. 1907 RGBl. 377, abgeändert 12. „ Toro RGBl. 515.
Die Eisenbahnzollordnung von 13. 12. 1912 RGBI. 1913 8. 31.
Die technische Einheit im Eisenbahnwesen im Verhältnis zum Ausland regelt das inter-
nationale Abkommen vom 25. 5. 1908 RGBl. 362. Die Reichsaufsicht wird durch das Reichs-
eisenbahnamt geführt. Das Reichseisenbahnamt hat die Aufsicht über das Eisenbahnwesen zu
führen, für die Ausführung der verfassungsmässigen und gesetzlichen Bestimmungen Sorge zu tragen,
und auf die Abstellung von Mängeln und Mißständen hinzuwirken. Nähere Bestimmungen treffen