Georg Eger, Eisenbahnwesen. 269
plans freisteht, bedarf es für den Güterverkehr einer Regelung. Entscheidend ist auch hier in erster
Linie die Bestimmung oder das Interesse des Versenders. Setzt dieser auf den — Frachtbrief eine
Wege-(Routen-)Vorschrift, so geht es nach dieser; fehlt eine solche, so geht es nach den sog.
Verkehrsleitungsvorschriften (d.i. besonderen Bestimmungen der Verwaltungen für den internen
Dienst). Der Berner Vertrag enthält in Art. 6 bestimmte Vorschriften über die Verkehrsleitung im
internationalen Verkehr. — Im Anschlussverkehr mehrerer Bahnen tritt natürlich das Bestreben
jeder Verwaltung hervor, den Transport möglichst weit über die eigenen Linien zu leiten, um einen
grösseren Anteil in der Gesamtfracht zu erzielen. Dies führt zu vielfachen Konkurrenzkämpfen, die
oft schon in der Öffentlichkeit, speziell in den Parlamenten Anlass zu Klagen und Angriffen gegeben
haben. Zur Vermeidung solcher Konkurrenzkämpfe sind unter den Nachbarverwaltungen Verkehrs-
leitungsverträge üblich, welche entweder ganz allgemein oder für einzelne Relationen Normen auf-
stellen, wieweit Umleitungen zulässig sein sollen, und wie überhaupt der Verkehr geleitet werden soll.
Die aus diesem Wettbewerb entspringenden Übelstände gehören zu den hauptsächlichsten Gründen,
die für eine weitere Vereinheitlichung der deutschen Bahnen angeführt werden. Die normale Linie
für den Verkehr ist die sog. tarifbildende, d. h.die kürzeste, nach welcher der Tarif berechnet wird.
IV. Tarifpolitik.
$ 7. Unter Eisenbahntarif wird im weiteren Sinne das Verzeichnis der Bedingungen ver-
standen, unter denen eine Eisenbahn ihre Transportgeschäfte abzuschliessen sich bereit erklärt.
Im engeren Sinne versteht man darunter das Verzeichnis der Beförderungspreise. Die Regelung der
Beförderungspreise bildet eine überaus wichtige Frage der Eisenbahnpolitik. Von der Höhe der
Beförderungspreise ist zum grossen Teile der Preis und Absatz der Waren und Fabrikate und somit
die Entwickelung der Industrie, des Handels und der Landwirtschaft abhängig. Allzu hohe Be-
förderungspreise wirken wie Ausfuhrzölle und schädigen den Absatz inländischer Ware auf dem
ausländischen Markte. Anderseits muss bei der Abmessung der Preise darauf Rücksicht genommen
werden, dass die Rentabilität und Leistungsfähigkeit der Bahnen gewahrt bleibt. Es gehört hiernach
zu den wichtigsten Aufgaben des Staats, das Tarifwesen der Eisenbahnen dem Bedürfnis des öffent-
lichen Verkehrs entsprechend zu regeln und zu beaufsichtigen.
Die Tarifpolitik des Staates ist nach zwei Richtungen zu betrachten: einmal in der Staats-
bahnverwaltung als Festsetzung der Grundsätze, nach denen der Staat das Entgelt für die
Leistungen oer eigenen Verwaltung bestimmt, zweitens gegenüber den Privatbahnen als Festsetzung
der Grundsätze, nach denen der Staat in Ausübung seiner Tarifhoheit bei Kontrolle über die Tarife
der Privatbahnen verfährt. In erster Hinsicht stehen sich zwei Prinzipien gegenüber : das fiskalische,
wonach der Staat die Bahnen nach gewerblichen Grundsätzen als ein möglichst gewinnbringendes
Unternehmen verwaltet, und das gemeinwirtschaftliche, nach welchem der Staat mit der Verwaltung
der Bahnen in erster Linie dem allgemeinen Nutzen, der wirtschaftlichen Entwickelung des ganzen
Staates dienen will. Letzteren Falles wird weniger auf Erzielung höherer Überschüsse gesehen, als
auf Befriedigung wirtschaftlicher Wünsche der Allgemeinheit oder einzelner Gegenden oder Stände
auch unter finanziellen Opfern. Im deutschen Staatsbahnwesen sucht man, soweit die Finanzlage
der Staaten es gestattet, das gemeinwirtschaftliche Prinzip zu verwirklichen, wiewohl mit der
Begrenzung, dass jedenfalls die Verwaltung ausser den Betriebskosten Verzinsung und angemessenen
Schuldabtrag aufzubringen hat. — Nach welchen Grundsätzen der Staat den Privatbahnen gegen-
über seine Tarifhoheit ausübt, d. h. wie weit er ihnen Tariffreiheit lässt, dafür lassen sich allgemeine
Regeln nicht wohl aufstellen, vielmehr kommen hier die verschiedensten Gesichtspunkte in Betracht,
je nach den besonderen Verhältnissen der einzelnen Staaten.
Man unterscheidet folgende Gütertarifsysteme: 1. Raumsystem (das ist Gliederung des
Tarifs nach der Transportleistung der Bahn: bestimmter Einheitssatz für eine Gewichts- und
Streckeneinheit, z.B. für 1 t und I km: x Pf.); 2. das Wertsystem (Bemessung nach dem Werte
(Verkehrs-Handelswert) der Gegenstände); 3. das gemischte System, welches beide vereinigt. Man
unterscheidet ferner: Normaltarife, d. h. Tarife, die nach normalen Einheitssätzen gebildet sind,
und Ausnahmetarife, die von dem allgemeinen Schema abweichen. Unter Differenzialtarifen ver-
steht man Tarife, deren Einheitssätze sich je nach der Länge der Beförderungsstrecke verringern,