Georg Eger, Eisenbahnwesen. 271
Gesetz erfolgen, soweit sie nicht zwecks Herstellung der Gleichmässigkeit der Tarife oder infolge
einer Änderung des Gütertarifschemas geschehen.
V, Beamten- und Arbeiterwosen.
$8. Die grossen Aufgaben, die der Eisenbahn, zunächst der Staatseisenbahn im Interesse des
Staates und seiner Bevölkerung zur Lösung zufallen, verlangen vor allem neben der technischen
Vervollkommnung der Betriebsmittel ein geschultes und verlässliches Personal sowohl für die Ver-
waltung, wie für den eigentlichen Betrieb. Bei den Staatsbahnen hat man zwischen den als öffent-
liche Beamte und im Privatdienste angestellten zu unterscheiden. Zu der letzten Klasse gehören
namentlich die für die Aufrechterhaltung des Betriebes unentbehrliche grosse Zahl der Arbeiter.
Bei den deutschen Eisenbahnen waren 1912 im Jahresdurchschnitt 263 528 etatsmässige, 20031
diätarische Beamte und 429 628 Arbeiter, zusammen also 713 187 Personen beschäftigt.
Unter den Beamten sind zu unterscheiden: die probeweise Beschäftigten (ausseretatsmässig),
die auf Kündigung angestellten und die unkündbaren Beamten. Die Anstellung der Beamten er-
folgt vielfach zunächst auf Probe, für die Folgezeit auf Kündigung, zuletzt, soweit zulässig, lebens-
länglich. Die Einteilung in höhere, mittlere und Unterbeamte findet sich auch in der Eisenbahn-
verwaltung. Zu den höheren Beamten zählen die Beamten mit akademischer Bildung \ Juristen,
höhere Verwaltungsbeamte, Techniker mit Hochschulbildung), für die mittleren Beamten ist nur
bureaumässige Ausbildung erforderlich. Für die Unterbeamten ist keine Fachbildung nötig. In
ihre Stelle einzurücken steht zum Teil auch bewährten Arbeitern offen. Die Massnahmen einer
sachentsprechenden Einrichtung des Beamten- und Arbeiterwesens in der Eisenbahnverwaltung
müssen sich vornehmlich nach zwei Richtungen erstrecken, einmal nach der Richtung einer
Gewähr für die Aufrechterhaltung, zum zweiten aber nach der Richtung der mög-
lichsten Sicherheit des Betriebes. In der ersten Beziehung haben namentlich die
Wirtschafts- und politischen Kämpfe der Gegenwart die Frage nahegelegt, ob die deutsche, be-
sonders die preussische Eisenbahnverwaltung gegen die in anderen Ländern schon vorgekommene
Lohnbewegung durch allgemeine oder teilweise Arbeitseinstellung und ihre Nebenerscheinungen
(Sabotage) hinreichend gerüstet ist. Wenn auch der Masserstreik als ein sicheres politisches
Kampfmittel gegenwärtig von der Sozialdemokratie verworfen worden ist, wird, namentlich in
politisch erregten Zeiten ein Streik der Eisenbahner auch in Deutschland für möglich gehalten
werden müssen (namentlich zur Verhütung eines unpopuläreren Krieges). Für diesen Fall —
selbstverständlich nicht zur blossen Vereitelung eines Lohnkampfes— wird deshalb eine hinreichende
Ausbildung von Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren für den Eisenbahndienst nicht umgangen
werden können. Gegenwärtig sucht man den Gefahren einer Propaganda revolutionärer Ideen durch
entsprechende Verbote, namentlich auch gegen jede Beteiligung an Vereinen und Verbänden mit
einer die jetzigen Grundlagen des Staatswesens bekämpfender Tendenz zu begegnen. Die damit
verbundene Beschränkung des Koalitionsrechtes der Arbeiter und Beamten ist häufig Gegenstand
der Beschwerden in den Parlamenten. Abgesehen von der Bekämpfung cestruktiver Tendenzen
darf freilich, wie dies auch von den Verwaltungen stets versichert wird, ein Einfluss auf die Beamten
und Arbeiter im Sinne der Betätigung einer bestimmten politischen Meinung nicht ausgeübt werden.
Unter den auf dem Boden der gegenwärtigen Staatsordnung stehenden Richtungen sind die konser-
vativen (christlich-national ; Elberfelder und Trierer Verband) und die liberalen (Hirsch-Dunckersche
Vereine) zu unterscheiden. Den Beamten und Arbeitern muss auch in der Eisenbahnverwaltung
der Zusammenschluss zu Vereinen und Verbänden jedenfalls insoweit völlig frei stehen, als diese
Vereine lediglich die Interessen der Hebung des Standes und der wirtschaftlichen Lage zum
Gegenstande haben, freilich immer soweit die Disziplin dabei keine Gefahr erleidet. Die Eisen-
bahnvereine der preussisch-hessischen Staatsbahnen sind in einem Verbande vereinigt, dem 1910
754 Vereine mit zusammen 435 682 Mitgliedern angehörten. Der Verein der mittleren Staatseisen-
bahnbeamten der preussisch-hessischen Staatseisenbahnen zählte 1910: 151 Ortsgruppen mit 10 389
Mitgliedern; auch in Bayern, Württemberg und Baden bestehen gleichartige Vereine, die unterein-
ander in einem gewissen Kartellverhältnis stehen.
Erfordert die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Betriebes in erster Reihe das Vor-
handensein und die Tätigkeit der notwendigen Zahl pflichttreuer Angestellter, so nötigt die Er-