Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

282 Th. Rehbock, Süddeutsche Schiffahrtspläne. 
Bei Beurteilung des Wertes des Schiffahrtsweges zum Bodensee ist es von Bedeutung, dass 
derselbe mit der Stromstrecke zusammenfällt, welche die grössten in Mitteleuropa vorhandenen 
Wasserkräfte liefern kann, deren Wert durch die regulierbaren Wasserkräfte der Alpen- und Schwarz- 
waldflüsse noch erhöht wird. Diese Wasserkräfte werden jenen Gegenden ganz zweifellos einen 
gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung bringen, der auch dem neuen Verkehrsweg zugute kommen 
muss. Die geplante Regulierung des Abflusses des Bodensees wird in gleicher Weise den Kraft- 
werken am Oberrhein, wie der Rheinwasserstrasse und zwar dieser abwärts bis zu den Niederlanden 
von Nutzen sein. 
Allerdings darf bei der Beurteilung der Aussichten des Schiffahrtsweges zum Bodensee auch 
nicht übersehen werden, dass der Verwirklichung dieser Wasserstrasse erhebliche Schwierigkeiten 
entgegenstehen, die in der Hauptsache politischer Art sind, insofern die Verteilung der Interessenten 
für diesen Verkehrsweg auf eine grössere Zahl von Staaten die Regelung der Kostenfrage und die 
einheitliche und schnelle Projektierung und Ausführung erschwert. Auch der Umstand, dass in den 
beteiligten Gebieten noch keine an ein längeres Netz angeschlossene Wasserstrassen vorhanden 
sind, und daher die Beteiligten erst durch eine langwierige und zeitraubende Aufklärungsarbeit 
von den ihnen aus der Rheinwasserstrasse erwachsenden Vorteilen überzeugt und zu Opfern be- 
reit gemacht werden müssen, sowie die Befürchtungen der Eisenbahnverwaltungen auf Minderung 
ihrer Einnahmen stehen der schnellen Verwirklichung dieser Wasserstrasse entgegen. 
\Wenn durch den Ausbau des Rheinschiffahrtsweges von Strassburg nach Basel und von 
hier weiter zum Bodensee das Bedürfnis der südwestlichen Teile Süddeutschlands nach einer lei- 
stungsfähigen und billigen Verbindung mit dem Unterrhein und dem Meere auch im wesentlichen 
befriedigt werden würde, so ist dies für die mittleren und östlichen Teile Süddeutschlands nicht 
in gleichem Mass der Fall. 
Die Königreiche Württemberg und Bayern sind daher seit langem bestrebt, sich eigene 
Wasserverbindungen aus ihren industriereichsten Gebieten zum Rhein hin zu schaffen, da sie be- 
fürchten müssen, ohne leistungsfähige Wasserstrassen auf die Dauer den Wettbewerb mit den von 
schiffbaren Strömen bezw. Kanälen durchzogenen Gebieten nicht aushalten zu können. Vor allem 
hat die Tatsache, dass die Bevölkerung dieser Länder weit schwächer angewachsen ist, als die- 
jenige der an grossen Strömen gelegenen Teile Deutschlands, und dass die grossen industriellen 
Gesellschaften ihre Werke vielfach nach auswärts verlegt haben, den Wunsch nach leistungsfähigen 
Verkehrswegen, namentlich nach Wasserverbindungen zum Rhein hin, lebhaft hervortreten lassen. 
Was Württemberg anbetrifft, so wird dasselbe zurzeit über Mannheim und Karls- 
ruhe mit Kohlen und Eisen vom Unterrhein und mit überseeischen Waren — namentlich Getreide, 
Mehl und Petroleum — hauptsächlich mit der Bahn und nur zu einem kleinen Bruchteil von Mann- 
heim aus auf dem Neckar versorgt. Der Neckar, der einzige schiffbare Fluss Württembergs, genügt 
eben keineswegs den an einen neuzeitlichen Wasserweg zu stellenden Anforderungen, da er nur für 
kleine Fahrzeuge schiffbar ist und bei seiner stark schwankenden Wasserführung oft monatelang 
vollständig versagt. 
Nach reiflicher Prüfung der Frage ist durch die württembergische und badische Baubehörden 
in letzter Zeit ein Entwurf ausgearbeitet worden, der die Kanalisierung des Neckars von Mannheim 
bis Heilbronn auf eine Länge von 117,5 km für 1000 Tonnen-Schiffe vorsieht, wozu 17 Staustufen 
in den Fluss eingebaut werden sollen. Der Entwurf wird demnächst den Regierungen der 3 Ufer- 
staaten Württemberg, Baden und Hessen zur Genehmigung vorgelegt werden und ist in einer amt- 
lichen Denkschrift im Dezember 1910 bereits in seinen wesentlichen Grundlagen veröffentlicht 
worden. Die Baukosten sind auf 33 270 000 M. berechnet, zu denen für die Errichtung der an den 
Staustufen vorgeschenen Kraftwerke und für Hafenanlagen in Heilbronn noch rund 16 Millionen 
Mark hinzukommen. Schon für die Zeit kurz nach Eröffnung der Wasserstrasse wird auf einen 
Verkehr von über 3 Millionen Tonnen gerechnet. Vor allem soll die in bedrängter Lage befindliche 
württembergische Industrie durch Verbillisung des Bezugs von Kohlen, Eisen und anderen Roh- 
stoffen und durch die Verbesserung des Absatzes der Erzeugnisse des heimischen Gewerbefleisses 
aus diesem Schiffahrtsweg Nutzen ziehen. Man hofft durch die Kanalisierung des Neckars das 
Abwandern der vorhandenen Betriebe verhindern und neue Industrien heranziehen zu können.
	        
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