Th. Rehbock, Süddeutsche Schiffahrtspläne. 985
stellungen der Eisenbahnverwaltungen, die in den Wasserwegen — meist allerdings zu Unrecht —
einen gefährlichen Gegner erblicken, der ihre Einnahmen stark beeinträchtigt, oft übersehen. Häufig
arbeiten daher die Eisenbahnverwaltungen der Erbauung von Wasserstrassen entgegen, während
tatsächlich die Wasserstrassen berufen sind, die Eisenbahnen bei der Bewältigung des Massen-
güterverkehrs wirksam zu unterstützen, indem sie den Bahnen die nur bei niedrigen, kaum noch
Gewinn abwerfenden Ausnahmetarifen transportfähigen Güter abnehmen, dafür ihnen aber durch
die allgemeine Hebung des Wirtschaftslebens höherwertige Güter neu zuführen.
Kommt diese Überzeugung in den beteiligten Kreisen — namentlich bei den Regierungen
der betreffenden Staaten — allenthalben zum Durchbruch, werden die neuen Wasserwege weder als
ein lästiger Wettbewerb für die Eisenbahnen, welcher die Freiheit der Tarifbildung dieser Ver-
kehrswege unliebsam beschränkt und den Eisenbahnen einen Teil ihrer Frachten entzieht, noch
auch als rein geschäftliche Unternehmungen, die für eine reichliche Verzinsung und Amortisation
ihrer Anlagekosten sorgen sollen, betrachtet, wird vielmehr ihre Bedeutung und ihr Nutzen für die
Gesamtheit von höherer Warte aus richtig gewürdigt, so werden die Schwierigkeiten, die sich der
Verwirklichung so grosser und in so viele wirtschaftliche Verhältnisse eingreifender Unternehmungen
naturgemäss entgegenstellen, sicherlich überwunden werden können. Es werden sich in einigen Jahr-
zehnten, wenn vielleicht auch nicht alle die genannten Wasserwege, so doch jedenfalls die Mehrzahl
derselben verwirklichen lassen, und es wird sich — wie dies schon bei so vielen anderen Fällen be-
obachtet werden konnte — zeigen, dass die Schaffung leistungsfähiger Verkehrswege eines der
sichersten Mittel ist, einen wirtschaftlichen Aufschwung hervorzurufen. Eine übermässige Belastung
des Verkehrs auf den neu geschaffenen Wasserstrassen durch hohe Abgaben sollte vermieden werden,
indem richtig gewürdigt wird, dass jeder neu geschaffene Verkehr nicht nur demjenigen, in dessen
Auftrag er erfolgt, sondern auch der Gesamtheit zum Nutzen gereicht. Vor allem aber muss ver-
hütet werden, dass die schon vorhandenen Wasserstrassen, an welche sich die neu zu schaffenden
anschliessen sollen, durch eine starke Belastung mit Abgaben allzuschr beeinträchtigt werden,
denn die geplanten süddeutschen Schiffahrtsstrassen bilden nur einen Teil des deutschen bezw.
mitteleuropäischen Wasserstrassennetzes und jede Belastung dieses Netzes muss auf die ange-
schlossenen neuen Teile rückwirkend von schädlichem Einfluss sein.
Erhält Süddeutschland ein leistungsfähiges und weitsichtig geleitetes Netz von Grossschiff-
fahrtswegen, und werden gleichzeitig die in seinen Strömen und Gebirgsflüssen noch schlummernden
gewaltigen Energiemengen erschlossen, so fallen die wesentlichsten Hemmungen, welche seither
Süddeutschland in seiner wirtschaftlichen Entwicklung behindert haben, fort. Süddeutschland
wird dann erfolgreich den Kampf mit seinen Nachbarn aufnehmen und seine keineswegs armen
natürlichen Hilfsmittel voll erschliessen können. Der Einsatz zur Erreichung dieses Zieles kann
kaum zu hoch sein.
e Berufenen sollten daher zusammenwirken, um das schon so lange angestrebte Ziel
des Ausbaues eines leistungsfähigen Wasserstrassennetzes in Süddeutschland zu erreichen. DerNutzen
wird nicht nur dem Süden des Deutschen Reiches, sondern auch dem Norden zufallen, der durch die
Wasserstrassen noch enger zu einer wirtschaftlichen Einheit mit dem Süden zusammengefügt
werden wird, und der bei dem Austausch von Rohstoffen und Fertigwaren mit einem wirtschaft-
lich starken Süddeutschland nur gewinnen kann.