49. Abschnitt.
Wettbewerb zwischen Eisenbahnen und Woasserstrassen.
Yon
Dr.-Ing. Otto Blum,
o. Professor an der Technischen Hochschule Hannover,
Literatur:
Die neuere Literatur ist vor allem durch den Kampf um den „Mittellandkanal‘‘ entetanden. Die
Zet}.] der Tendenzschriften ist eehr gross. An objektiven Darstellungen sind vor ellem zu nennen die Denkschriften
jesr a Arne der öffentlichen Arbeit Kanalvorlage und die Arbeiten von Sympher, Prüssmann,
Tbiele, Block (die man als Kanalfreunde bezeichnen kanu). Sehr eingehend ist das Werk von Cauer-Rathenau
über Massengüterbahnen, Viel Material findet eich in den Verhandlungen des preussischen Landtages, ferner in den
Zeitschriften: „Archiv für Eisenbahnwesen“, „Weltverkehr‘‘ (mit vielen Quellenangaben), „Verkehrstechnische
Woche“, „Zeitschrift für Binnenschiffahrt“. Auch in Österreich wird die Frage eifrig bearbeitet (R. v. Gunetsch,
Sax), ferner in Frankreich (Colson).
Vorbemerkung.
Der geschichtliche Gang ist bezüglich der herrschenden Ansichten über Eisenbahnen und Wasserstrassen
der folgende gewesen: Der Merkantilismus hat kurz vor Beginn des Dampfzeitalters zahlreiche Kanäle geschaffen
(besonders in Preussen, Frankreich, Holland, England). Diese Kanäle waren sämtlich nur auf kleine Schiffe
zugeschnitten (z. B. der Finuwkanal). Die rasch aufblühenden Eisenbahnen haben dann den Binnenwasserstrassen
so starken Wettbewerb gemacht, dass ihr Verkehr vielfach verkümmerte. Teilweise hat auch eine skrupelluse
Privat-Eisenbahapolitik die Kanäle planmässig zu Grunde gerichtet (England, Amerika). Die Binnenwasser-
strassen gerieten damit allgemein in Misskredit, indem man die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen mit der von
Kanälen mit zukleinen Abmessungen verglich. Dann kam der Umschwung seit 1675: man überzeugte eich von
Jem Wert der natürlichen Wasserstrassen, die von grossen Schiffen befahren werden konnten (Rhein, Elbe,
Hudson), gleichzeitig glaubte man in Amerika in dem Ausbau von Wasserstrassen das beste Kampfmittel gegen die
unerträglich werdende Herrschaft der Eisenbahnkönige gefunden zu haben. Dazu kamen drei technische Fort-
schritte, die den wirtschaftlichen Wert der Wasserstrassen wesentlich steigerten: die Verbesserung der Schiffe
(Vergrösserung und Eisenbau), die Einführung mechanischer Kratt (im Schiff oder als Treidelei), die Entwioklung
der Wasserbaukunst (Schleusen für grosses Gefälle, Schiffshebewerke, Stauanlagen mit Kraftgewinnung). Tat-
kräftig sind dann die Regierungen (Preussen, Bayern, Frankreich, Nordamerika) und die Gemeinden (diese z, B.
mit Hafenbauten) vorgegangen. Nach teilweise scharfen Kämpfen haben die Wasserstrasseufreunde ihre Ansichten
durchgedrückt, wenn sie auch die Gegner teilweise nicht überzeugt haben. Für Deutschlands weitere Wasser-
strassenpolitik wird von besonderer eutung sein, dass der $ der Reichsverfassung der die Finunzierung des
Ausbaues der natürlichen Wasserstrassen erschwert, abgeändert worden ist.
Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich Wasserstrassen und Eisenbahnen Wett-
bewerb machen, werden am besten zunächst einige zweifelsfrei feststehende Tatsachen
kurz angeführt:
Was die natürlichen Vorzügeund Nachteile anbelangt, so haben das Meer,
die grossen Binnenseen und die grossen Ströme den Vorzug niedriger Beförderungs-Kosten; all-
gemein aber hat das Wasser den Nachteil der Abhängigkeit von Naturgewalten (Sturm, Frost,
Trockenheit) und der ungenügenden Verästelung; dagegen hat die Eisenbahn den Vorzug der
Schnelligkeit, Sicherheit und Pünktlichkeit, ausserdem ist sie von Naturgewalten fast unabhängig,
auch kann sie sich beliebig verästeln. Der Wasserverkehr ist vom Hügel- und Gebirgsland, von
Steppen und Wüsten fast ganz ausgeschlossen; die Eisenbahn kennt keine geographischen Schranken
ausser dem Mcer.
Der Natur beider Verkehrsmittel entspricht es, dass Personenund Post die Eisenbahn
bevorzugen, während die Güter, besonders die geringwertigen Massengüter, den Wasserweg suchen.
ieser Teilung entspricht folgende für unsere Frage wichtige TendenzdesWeltver-
ke hrs : für den Güterverkehr strebt die Seeschiffahrt soweit wie irgend möglich in das Landes-
innere hinein, die grossen Sechäfen liegen tief in den Meeresbuchten (Philadelphia, Baltimore) und
an den Stellen der Flussmündungen, bis zu denen Seeschiffe überhaupt vordringen können (Bremen,
Hamburg, Antwerpen, Calcutta); für den Personen- und Postverkehr laufen die Seedampfer dagegen
Höfen an, die möglichst weit aus den Kontinenten ins Meer vorgeschoben sind (Brindisi, Cherbourg).