Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Bernhard Huldermann, Seeschiffahrt. 41 
  
Die äussere Entwicklung der Schiffahrt in den wichtigeren Ländern verdeutlicht die weiter 
unten wiedergegebene Tabelle über das Wachstum der Handelsflotten. Die inneren, diese Ent- 
wicklung bestimmenden Gründe sind sehr verschiedenartig. Es ergibt sich zunächst, dass trotz 
des Emporkommens anderer Länder England immer noch einen Vorsprung behauptet, den 
ihm so leicht niemand streitig machen wird und kann, weil Englands Handelsflotte, ausser in dem 
grossen Handel des Landes, in den Verkehrsbeziehungen zu dem gewaltigen Kolonialreich und in 
der bereits erwähnten riesenhaften Kohlenausfuhr unvergleichliche Stützpunkte hat. 
Deutschlands Handelsflotte, die bedeutendste nach der englischen, ist gewachsen 
nicht so sehr im direkten Wettbewerb um den englischen Besitzstand, sondern weil es ihr gelungen 
ist, von dem in den letzten Jahrzehnten riesenhaft gewachsenen Sceverkehr Deutschlands und 
Mitteleuropas einen grossen Teil an unsere Flagge zu fesseln. Die Bedürfnisse dieses Verkehrs 
baben es mit sich gebracht, dass die deutsche Handelsflotte ganz überwiegend die Linienschiffahrt 
ausgebildet hat und nicht die freie Fahrt, ebenso wie die Tatsache, dass die grosse wirtschaftliche 
Entwicklung unseres Vaterlandes sich nicht in seinem östlichen Teil vollzogen hat, die überragende 
Stellung der Nordseehäfen gegenüber den Ostseehäfen erklärt. Nach den beiden Richtungen hin, 
die eingangs angedeutet wurden, hat die deutsche Schiffahrt für unsere Volkswirtschaft gewirkt. 
Indirekt durch den Aufbau eines die ganze Welt umspannenden, alle Häfen in seinen Bereich zie- 
henden Netzes von regelmässigen Dampferverbindungen, die entsprechend den zunehmenden 
Bedürfnissen unseres Handels immer weiter ausgestaltet werden. Direkt durch eine noch ständig 
in der Zunahme befindliche Beteiligung am Weltverkehr, die dm Nationaleinkommen 
beträchtlichen Verdienst zuführt. Ich habe vor einigen Jahren (in meiner oben zitierten Schrift 
„Die Subventionen usw.“, S. 68 ff) den Verdienst, den die grösseren deutschen Reedereien dem 
Nationaleinkommen jährlich zuführen, auf rund 300 Millionen Mark geschätzt. Diese Summe hat 
sich seitdem weiter erhöht und vergrössert sich durch das neuerdings wieder sehr kräftige Wachstum 
unserer Handelsflotte immer noch mehr. Was die deutsche Schiffahrt für das Nationalver- 
mögen bedeutet, mag man daraus entnehmen, dass die Flotte der deutschen Reedereien, die 
man vor einigen Jahren noch auf rund eine Milliarde Mark Wert schätzte, heute, nachdem in den 
letzten Jahren viel hochwertiges Schiffsmaterial eingestellt ist und ‚weiteres sich im Bau befindet, 
auf rund 11, Milliarde Mark zu schätzen ist. 
Aus dem wirtschaftlichen Aufschwung des deutschen Hinterlandes ziehen übrigens nicht 
nur die deutschen Nordseehäfen Nutzen, Antwerpen und Rotterdam haben es in ebenfalls sehr 
grossem Umfange getan, auch Triest zieht Verkehr aus Mittel- und Süddeutschland an sich. Ant- 
werpen und Rotterdam werden deshalb auch in umfangreichem Masse von den deutschen Linien 
angelaufen, und, soweit ein direktes Anlaufen anderer Häfen nicht möglich ist, sorgt ein reich aus- 
gebildetes Netz von Anschlusslinien für die Verbindung der deutschen mit den übrigen europäischen 
Häfen. Dieser Wettbewerb der grossen Häfen untereinander ist die Quelle einer ungewöhnlich 
scharfen, dauernden Konkurrenz, eine nationale Wirtschaftspolitik hat daher 
vor allem ihr Augenmerk darauf zu richten, dass die Leistungsfähigkeit der deutschen Reederei 
gestärkt und nicht durch ein Übermass an staatlichen Auflagen, sozialpolitischen Lasten oder durch 
eine falsche, allzu fiskalische Abgaben- und Gebührenpolitik geschwächt wird. Umsomehr, da alle 
Anstrengungen unserer Reedereien nicht verhindern können, dass in unseren Nachbarländern 
ständig an der Entwicklung der eigenen Schiffahrt gearbeitet wird, und baare staatliche Macht- 
mittel häufig in sehr weitgehendem Umfange in den Dienst dieser Bestrebungen gestellt werden. 
er die mannigfaltige Art und Weise dieser Unterstützung wird weiter unten die Rede sein, 
hier sei nur, um den Überblick über die Entwicklung zu Ende zu führen, erwähnt, dass in unseren 
Nachbarländern die staatliche Hülfe vielfach die Existenzgrundlage der Schiffahrt war und ist. 
Bisher machten die skandinavischen Länder eine Ausnahme davon, undNorwegen, ein klassi- 
sches Land der Seefahrt, hatte sich durch starke Beteiligung an der „freien Fahrt“ in allen Ländern 
(u. a. auch an der ostasiatischen Küste) eine bedeutende Handelsflotte aufgebaut. Neuerdings 
aber versucht man in Schweden sowohl wie in Norwegen mit Hilfe von Staatssubventionen auch 
regelmässige Linien ins Leben zu rufen. Ebenso haben namentlich Frankreich, Italien und 
Japan auf Grund sehr hoher barer Subventionen sich eine Handelsflotte geschaffen. Die Handels- 
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