999 Bernhard Huldermann, Sceschiffahrt.
flotte der Vereinigten Staaten, die der Zahl nach an zweiter Stelle unter allen Nationen steht,
gehört insofern nicht dahin, als einen grossen Teil davon die auf den grossen Binnenseen fahrende
Flotte ausmacht, die man zur Seeschiffahrt eigentlich nicht zählen kann. Zieht man sie ab, tritt
die amerikanische Handelsflotte vom zweiten Platz zurück, und in dem verbleibenden Rest spielt
dann noch die Küsten-Seglerflotte eine grosse Rolle. Während in den Zeiten der Segelschiffahrt
die amerikanische Flagge auch an der transatlantischen Fahrt hervorragend beteiligt war, ist sie
seitdem daraus fast ganz verschwunden, und zwar weil die amerikanische Gesetzgebung im Aus-
lande gebaute Schiffe zur Führung der amerikanischen Flagge nicht zulässt, der Bau von Schiffen
in Amerika aber infolge der Verteuerung aller Materialien durch die hohen Schutzzölle erheblich
teurer als im Auslande ist. Auch verlangt das amerikanische Gesetz amerikanische Besatzungen,
und diese wieder erheblich höhere Löhne als die anderer Länder entsprechend den im allge-
meinen sehr hohen amerikanischen Arbeitslöhnen. Ausser in der amerikanischen Küstenfahrt, die
durch Gesetz der amerikanischen Flagge vorbehalten ist, verkehren amerikanische Schiffe zwischen
nord- und mittelamerikanischen Häfen, und dass der Panamakanal und die dadurch sicher er-
folgende starke Belebung des Verkehrs mit der Westküste des Kontinents der amerikanischen
Flagge neue Bestätigungsgebiete erschliessen wird, ist gewiss, auch wenn die mit jeder Tagung des
Kongresses neu einsetzende Agitation für Gewährung von staatlichen Subventionen und anderen
Begünstigungen an die amerikanische Flagge weiter ohne Erfolg bleiben sollte, was aber keines-
wegs sicher ist. Mit der Eröffnung des Panamakanals steht die Schiffahrt der ganzen Welt über-
haupt vor dem Beginn einer neuen Entwicklungsperiode, deren Verlauf im voraus schwer zu beur-
teilen ist, die aber sicher der Schiffahrt viele neue, bedeutsame Aufgaben stellen wird.
II. Organisation.
Von einer allgemein und einheitlich durchgeführten Organisation ist im Schiffahrts-
gewerbe nicht die Rede und kann nicht die Rede sein, weil mit Ausnahme derjenigen Ver-
kehrsgebiete, auf denen ein Staat monopolartige Konzessionen geschaffen hat — in der
Praxis gibt es einige derartige Linien, allerdings nicht in England und Deutschland — der
freien Betätigung des einzelnen keine Schranken gesetzt sind und in einem Gewerbe, dessen Pro-
duktionsmittel an keinen Ort gebunden sind, sondern überall verwandt werden können, auch kaum
gesetzt werden können. An Versuchen, den Wettbewerb in vernünftigen Grenzen zu halten, fehlt
es indes nicht. Bis zu einem gewissen Grade und für eine begrenzte Zeit sind sie auch teilweise von
Erfolg gewesen. Auseinander zu halten sind auch hierbei die zwei grossen Zweige der Schiffahrt,
die freie Fahrt und die Linienschiffahrt. In der ersteren ist es bisher niemals gelungen, auf dem
Wege des Zusammenschlusses und der freiwilligen Abreden das Wichtigste zu erreichen, nämlich
entweder eine Beschränkung des Angebotes von Schiffsraum oder eine Festlegung der Fracht-
raten. Hinsichtlich des ersteren, der Beschränkung des Angebotes von Schiffsraum, ist es immer
nur bei Vorschlägen geblieben, deren im Verlauf der letzten starken Depression im Schiffahrts-
gewerbe, 1908/9, verschiedene, auch bei gutem Willen aller Beteiligten durchaus annehmbare,
auftauchten. Mit einer Festlegung der Frachten ist ein Versuch durch die Internationale
Vereinigung der Segelschiffsreeder gemacht worden; aber bei dem dauernden
Rückgang der Frachten, verursacht durch die starke Zunahme der Trampdampfer, hatten diese
Abreden keinen Erfolg, sie standen schliesslich auf dem Papier. In der in freier Fahrt verkehrenden
Dampfschiffahrt ist der Versuch noch niemals gemacht. Die einzige bedeutende Vereinigung auf
diesem Gebiete, eine Vereinigung der an der Fahrt von der Ostsee und dem Weissen Meer beteiligten
Reeder (The Baltic and White Sea Owners’ Association), hat ihre Tätig-
keit auf die Verbesserung der Frachtverträge und die Abstellung von Missständen in den Hafen-
plätzen u. dergl., ferner auf die Agitation für eine vernünftige Geschäftspolitik der Reeder gegen-
über den Verladern und Schiffsmaklern gerichtet und dabei nach allgemeinem Urteil Erfolge erzielt.
Praktisch besteht aber irgend eine Organisation innerhalb der freien Schiffahrt nicht; der Wett-
bewerb ist in keiner Weise eingeschränkt. Angebot und Nachfrage regeln allein die Frachtsätze
an den grossen Frachtenmärkten für die Massenartikel, wie Kohle, Erz, Getreide, Düngestoffe,
Baumwolle, Jute, Reis u. a. m.