294 Bernhard Huldermann, Seeschiffahrt.
II. Staatliche Einflussnahme.
In vielfacher Beziehung greift die staatliche Autorität in den Schiffahrtsbetrieb ein.
Sie regelt (für die Besatzung in der „Seemannsordnung‘“) in einer besonderen, aus der
Isoliertheit des auf dem Weltmeere schwimmenden Schiffes und aus seinem Abgetrenntsein
von jeder staatlichen Autorität sich ergebenden Weise das Verhältnis der an Bord befind-
lichen Personen zueinander. Gegenüber der Besatzung stehen dem Schiffsführer und seinen
Vertretern, den Offizieren, disziplinarische Befugnisse zu, auch gegenüber dem Passagier be-
stimmte Rechte, die sich aus der Anschauung ergeben, dass der Schiffsführer bis zu einem
gewissen Grade der Träger der Autorität des Staates ist. Das ist schon deshalb notwendig, weil
ihm auch die volle Verantwortung für die Sicherheit des Schiffes und der an Bord befindlichen
Personen auferlegt ist. Darum verlangt der Staat auch den Nachweis einer Befähigung zur Schiffs-
führung (durch die staatlichen Prüfungsvorschriften für Offiziere und Kapitäne), ein Nachweis,
der je nach der Art der Fahrt, in der das Schiff sich befindet (kleine Fahrt, Küstenfahrt, grosse
Fahrt usw., Begriffe, die gesetzlich definiert sind,) verschieden ist. Auch legt der Staat (ebenfalls
in der Sceemannsordnung) dem Schiffseigner weitergehende Pflichten für die Fürsorge für die Schiffs-
angestellten auf (eine weitreichende Fürsorgepflicht für den erkrankten Seemann z. B.), als sie in
anderen Gewerben üblich sind. Aber der Staat knüpft auch das Recht zur Führung seiner Handels-
flagge, das den Anspruch auf den Schutz des Staates verleiht, an die Erfüllung weitgehender Be-
dingungen. Einzelne Staaten, z. B. die Vereinigten Staaten von Amerika, verlangen sogar, dass
die Schiffe im Inland erbaut sind; England und Deutschland und die meisten anderen Länder tun
das allerdings nicht, und ermöglichen dadurch ihren Landeskindern auch den Ankauf und Betrieb
im Auslande erbauter Schiffe, was eine ungebührliche Verteuerung der Schiffspreise verhindert,
die, wie schon oben erwähnt, in den Vereinigten Staaten eins der grössten Hindernisse für die Ent-
stehung einer Handelsflotte ist.
Dagegen verlangt die deutsche Regierung die Erfüllung bestimmter Vorschriften
für den Bau und die Einrichtung der Schiffe, verschärfte Vorschriften, wenn sie zur Beförderung
grösserer Zahlen von Personen dienen. Über die Beobachtung dieser Vorschriften wacht, soweit
die Maschinenanlagen in Frage kommen, eine staatliche Behörde, im übrigen die See - Berufs-
genossenschaft, deren Tätigkeit der anderer Berufsgenossenschaften ähnlich, aber in mancher Be-
ziehung gegenüber diesen noch erweitert ist. So hat sie z. B. ehe der Staat einen solchen Gedanken
aufgriff, die Witwen- und Waisenversorgung in die Seeschiffahrt als erstes Gewerbe eingeführt.
Die Beobachtung der Vorschriften dieser Behörden, die ergänzt werden durch die Bauvorschriften
der vom Staate anerkannten Schiffs-Klassifikati Gesellschaften (Britischer Lloyd, Germanischer
Lloyd u. a.) wird durch fortlaufende Inspektionen kontrolliert; nach Ablauf bestimmter Termine
sind umfangreiche Instandsetzungen, die sogenannten „Reklassifikationen“ vorgeschrieben, wenn
das Schiff nicht seine, von den Klassifikati Gesellsch bestimmte „Klasse“ verlieren will,
die wicder massgebend ist für die Bemessung der Versicherungsprämien für Schiff und Ladung
durch die Versicherungsgesellschaften. Noch wieder besondere Vorschriften sind für die Schiffe
erlassen, die Auswanderer befördern; sie überwacht die Auswandererbehörde, die auch weitgehende
Vorschriften für die Mitnahme bestimmter Arten und Mengen von Proviant erlassen hat usw.
Nicht zu vergessen sind endlich die Vorschriften des Staates über die Navigierung, Lichterführung,
Signalzebung, seine Fürsorge für die Befeuerung und Betonnung der Küsten und Flussmündungen,
die Untersuchung der Unfälle durch die Seeämter, die die Befugnis der Patententziehung oder
-b schränkung gegenüber Kapitänen und Offizieren haben. Alles das, im Verein mit den Fortschritten
der Maschinen- und Schiffsbautechnik, z. B. der Einführung der Doppelschrauben, Schotten, die
die Schiffe in einzelne durch wasserdichte Wände voneinander getrennte Abteilungen zerlegen und
dadurch bei Kollisionen einen grossen Schutz gewähren, ferner die drahtlose Telegraphie, Unter-
wasserschallsienale u. a. m. haben die Sicherheit der Schiffahrt gegen früher enorm erhöht. An
der Vervollständigung und Verbesserung dieser Einrichtungen wird ebenso wie an der internationalen
Durchführung einer das Mass der Beladung begrenzenden Tiefladelinie ständig weiter gearbeitet.
(rewise steht es nicht in Menschenmacht, allen Unfällen in der Schiffahrt oder in irgend einem anderen
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