Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Bernhard Harms, Handel. 311 
  
war, oder ob nicht vielmehr das Ziel eine Vereinheitlichung der Handlungsgehilfenbewegung sein 
müsste, mag dahingestellt bleiben. 
Im grossen und ganzen sind die Handlungsgehilfen trotz ihrer „Masse“ kein besonders 
günstiges Organisationsmaterial. Die vielfache soziale Differenzierung dieses Standes — vom 
Heringsverkäufer bis zum hochbezahlten Prokuristen — und das damit verbundene differenzierte 
Standesbewusstsein, eine charakteristische Begleiterscheinung aller Kategorien von Privatange- 
stellten, sind Hemmungsmomente, die in ihrer Tragweite in der Regel unterschätzt werden — trotz 
aller schlechten Erfahrungen, die man immer wieder macht. 
VI. Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Handels. 
Fast in der gesamten sozialökonomischen Literatur wird die Auffassung vertreten, dass 
es eine grosse Zeitspanne menschlicher Entwicklung gegeben habe, die sich als tauschlose Wirt- 
schaft charakterisiere, also den Handel nicht gekannt habe. Am prägnantesten hat dieser Auf- 
fassung der Leipziger Sozialökonom Karl Bücher Ausdruck gegeben, indem er als erste 
wirtschaftliche Entwicklungsstufe der Menschheit die „geschlossene Hauswirtschaft‘ bezeichnet. 
Sie charakterisiert sich angeblich durch „reine Eigenproduktion“ und ist „tauschlose Wirtschaft, 
auf welcher die Güter in derselben Wirtschaft verbraucht werden, in der sie entstanden sind.‘ Aus- 
drücklich hebt Bücher immer wieder hervor, dass vor der Entstehung der Volkswirtschaft „die 
Menschheit grosse Zeiträume hindurch ohne Tauschverkehr ..... . gewirtschaftet“ habe. Neuere 
Forschungen über das Wirtschaftsleben der primitiven Völker haben aber gezeigt, dass dies ein 
grandioser Irrtum ist. Der Handel gehört vielmehr zu den ältesten Kul- 
turerwerbungen der Menschheit und alle auf einen Zustand „tauschloser Wirt- 
schaft‘ aufgebauten Stufentheorien entbehren deshalb der historischen Grundlage. Übrigens 
hätten uns davon auch leicht die Funde aus prähistorischer Zeit überzeugen können, die oft aus 
Stoffen bestehen, die in weitem Umfange der Fundstelle nicht vorgekommen sein können, z. B. 
Gold, Bronze und Eisen. Adam Smith, von dem Bücher sagt, dass er „den Menschen von Natur eine 
Neigung zum Tausche angeboren sein lässt,‘ dürfte auch hiermit das richtige getroffen haben. 
Auch einen gewerbsmässigen Handel müssen wir uns schon sehr früh vorstellen, 
und zwar ursprünglich, Jahrtausende hindurch als Wander- oder nach heutigem Sprachgebrauch 
als Hausierhandel, der durch den später auch rechtlich ausgebildeten Markthandel ergänzt wird. 
Ein sesshaftes Handelsgewerbe kommt in Deutschland mit dem Städtewesen auf, ursprünglich 
besorgt es den Stadtbewohnern die im direkten Tauschverkehr in der Stadt und deren Umgebung 
nicht erhältlichen Güter: Salz, Eisen, Bronze, feine Stoffe, Fische, Wein u. dgl., ist also eine Art 
Importhandel. Später, noch im Mittelalter, verbreitert sich das Gebiet des sesshaften Handels, 
indem er sich auch im Hinblick auf alle möglichen anderen Gegenstände zwischen Produzent 
und Konsument einschiebt: Neben dem Grosskaufmann entwickelt sich in den Städten und später 
auch auf dem Lande allmählich der „Krämer“. Ein neues Zeitalter des Grosshandels beginnt mit 
der neuzeitlichen Kolonialpolitik, die Ausgangspunkt eines in gleicher Ausdehnung vorher nicht 
gekannten „Welthandels‘‘ wird. Mit der Entwicklung des Verkehrs wird dieser intensiver und 
führt schliesslich zur ‚Weltwirtschaft‘. (Vgl. d. Art. Weltwirtschaft und Weltwirtschaftspolitik). 
Von diesem Grosshandel profitiert auch der Kleinhandel, dem nun ganz neue Produkte (Kolonial- 
waren!) zugeführt werden. Und entsprechend war seine Entwicklung, die ihren Höhepunkt im 
19. Jahrhundert erreichte. Kaum ein anderes Gewerbe dürfte gerade im 19. Jahrhundert ein 
gleiches Entwicklungstempo eingehalten haben, wie das Handelsgewerbe und in ihm der Detail- 
handel, der sich längst nicht mehr auf die Städte beschränkt, sondern in die kleinsten und ent- 
legensten Dörfer vorgerückt ist. 
Welche Bedeutung hat nun das Handelsgewerbe oder schlechtweg der Handel 
für die Volkswirtschaft? Wie schon bemerkt, ist darüber viel gestritten worden. Noch heute ist 
nicht selten zu hören, dass der Handel „unproduktiv“ sei, weil er keine neuen Güter erzeuge 
sondern diese nur umsetze. Auch in der politischen Diskussion spielt das Wort vom „unproduk- 
tiven Handel“, dem „Schmarotzer an der Volkswirtschaft‘, eine bedeutsame Rolle. Gehen wir 
deshalb etwas näher darauf ein. 
 
	        
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