314 Bernhard Harms, Handel.
nicht erwarten dürfen, dass er unter allen Umständen Produkten der heimischen Volkswirtschaft
den Vorzug gebe, denn sein Wesen ist nun einmal international und muss es sein, wenn die nütz-
lichen volkswirtschaftlichen Begleiterscheinungen eines selbständigen Handels — Ausgleich von
Angebot und Nachfrage nach dem ökonomischen Prinzip und die hiermit zusammenhängende
Preisnivellierung — überhaupt zur Geltung kommen sollen.
Kann somit ein Zweifel darüber nicht bestehen, dass der Handel an sich durchaus jener
wirtschaftlichen Tätigkeit zugerechnet werden muss, von der wir sagen, dass sie produktiv sei,
so gilt dies doch immer nur unter den oben dargelegten Voraussetzungen, dass er nämlich in irgend
einer Weise zur rationellen Nutzbarmachung von Gütern beiträgt. Wo die bisherigen Funktionen
des Handels auf andere Weise und mit geringerem Aufwand erfüllt werden können,
wird man infolgedessen seine Ausschaltung volkswirtschaftlich nicht bedauern dürfen. Tendenzen,
den Handel an manchen Stellen auszuschalten, um dadurch den Weg zwischen Produzenten und
Konsumenten im Interesse der letzteren zu verkürzen, machen sich in der Tat je länger desto mehr
geltend und sofern sie wirklich eine Rationalisierung der Güterversorgung im Gefolge haben, sind
sie zu begrüssen, selbst auf die Gefahr hin, dass dadurch einem Gewerbe Abbruch getan wird, das
sich unter anderen Verbältnissen als volkswirtschaftlich nützlich erwiesen hat. Wie ja auch das
Handwerk zu grossen Teilen auf der Strecke geblieben ist, weil sich Betriebsformen herausbildeten,
die mit geringerem Aufwand mehr leisteten.
Zu nennen ist hier in erster Liniedas Genossenschaftswesen, dasin seinen mancherlei
Formen dem Handel je länger desto mehr empfindlichen Abbruch tut. Bezugsgenossenschaften
z. B. schaden dem Grosshandel, indem die in solcher Genossenschaft vereinigten Gewerbetreibenden
oder Landwirte infolge des nun vorliegenden Massenbedarfs direkt mit dem Produzenten in Be-
ziehung treten. Der Vorteil liegt auf der Hand. Beziehen 50 Schuhmacher das von ihnen benötigte
Leder als einzelne, so ist der Grossist ganz unentbehrlich, da die Fabrik auf die Abgabe so kleiner
Quantitäten sich in der Regel nicht einlassen kann. Der gemeinsame Bezug macht die’direkte
Verbindung aber sofort möglich. Da auf solche Weise für die Gewerbetreibenden schon vor Beginn
der eigentlichen Produktion sich eine Verringerung ihrer Produktionskosten ergibt und die Aus-
schaltung der Vermittlungstätigkeit des Handels in der Regel auch keine Nachteile im Gefolge hat,
so würde hier die fernere Inanspruchnahme der Grossisten unrationell sein. Es unterliegt keinem
Zweifel, dass gerade auf diesem Gebiete noch grosse Entwicklungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Die Grossisten selbst freilich bekämpfen diese Tendenzen aufs äusserste, indem sie beispielsweise ihrer-
seits Fabrikanten, die direkt an Gewerbetreibende oder Detaillisten liefern, nichts abkaufen. Da
ausserdem die Fachpresse der Handwerker und Detaillisten zumeist auf die Annoncen der Grossisten
angewiesen ist, sind dieser in der Propagierung der Genossenschaftsidee sehr enge Grenzen gezogen.
So wenig den Grossisten der Kampf um die Existenz verdacht werden soll, so sehr muss betont
werden, dass ihre Ausschaltung durch Bezugsgenossenschaften im Interesse einer rationellen Güter-
versorgung erwünscht ist.
Gefährden die Genossenschaften der Handwerker und Detaillisten den Engros-Handel, so
werden die Detaillisten ihrerseits von den Konsumgenossenschaften bedroht, indem
diese bestrebt sind, den allerkürzesten Weg zwischen Produzent und Konsument herzustellen.
„Die Kundschaft in ihrer Gesamtheit wird hier Trägerin der sonst dem Handel zufallenden Ver-
mittlungstätigkeit‘“‘ (Lexis). Die Praxis hat gezeigt, dass dieKonsumvereine — sei es durch niedrigere
Preise, sei es durch Ausschüttung einer Dividende — die Kosten der Lebenshaltung ihrer Mitglieder
wesentlich verbilligen. Da dies wieder eine Rückwirkung auf die Lohnhöhe hat, von der zum Teil
die Konkurrenz unserer Industrie auf dem Weltmarkt abhängt, so wird auch hier von einer nütz-
lichen Ausschaltung des Zwischenhandels gesprochen werden können. Es wäre deshalb auch falsch,
die Entwicklung der Konsumvereine durch Steuergesetze und dergl. aufhalten zu wollen, wie ander-
seits der Staat freilich keine Veranlassung hat, die Konsumvereine zu begünstigen und so den Prozess
mit seinen Folgen für einen grossen Erwerbsstand zu beschleunigen. Diese wirtschaftlichen
Kämpfe müssen zwischen den Beteiligten ausgefochten werden, ohne dass der Staat dazwischen fährt.
Von ganz besonderer Bedeutung kann das Genossenschaftswesen mit den hier erörterten
Folgeerscheinungen in der Landwirtschaft werden. Und zwar nicht nur im Hinblick auf den ge-