Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

318 Karl Lehmann, Die privaten Gesellschaftsformen des Handels. 
Die Eigenheit des Aktienprinzipes ist eine doppelte: eine Anteilsberechtigung (share) 
und ein beschränktes Risiko (limited) der Teilhaber. Aus den Beiträgen vieler setzt sich 
ein grösserer Fonds zusammen. Jeder ist nach Massgabe der Grösse seines Beitrages anteil- 
berechtigt, andererseits haftet keiner auf mehr als seine Einlage. Den Gläubigern soll also 
nur der Fonds als Exekutionsobjekt dienen. Sie haben keinen Zugriff in das Privatver- 
mögen des einzelnen Aktionärs.. Die Anteile sind gewöhnlich frei übertiagbar, ja sogar 
börsenfähig, indem sie durch Wertpapiere verkörpert werden. Es hat also jeder die Mög- 
lichkeit, als Teilhaber beliebige Zeit zu fungieren. Die Teilhaberschaft wird damit Objekt 
der Spekulation und des Börsenspieles. Die Gläubiger müssen andererseits sicher gestellt 
werden dagegen, dass das ihnen dienende Exekutionsobjekt in Gestalt von Dividenden sich 
aus dem Staube macht, so dass sie bei ihrem Zugriff nichts vorfinden. Daher strenge Be- 
stimmungen, welche den Gesellschaftsfonds zum Garantiefonds für die Gläubiger stempeln, 
das Grundkapital in die Bilanz als Passivum aufzunehmen gebieten, Dividendenzahlungen 
erst dann gestatten, wenn nicht bloss der Bilanzposten des Grundkapitals, sondern ausserdem 
noch ein weiteres Kapital, der Zwangsreservefonds, durch Aktivwerte gedeckt ist, eine vor- 
sichtige Schätzung der Bilanzwerte erstreben, dem Gründungsschwindel entgegentreten, 
Uebergriffen der Organe, zumal des Vorstandes, zu steuern suchen; andererseits aber auch 
Vorschriften, die dem einzelnen Aktionär zugute kommen sollen (Schutz von Minoritäten- 
Anfechtungsklage bei ungesetzlichen Beschlüssen, Schaffung eines obligatorischen Aufsichts. 
rates). Der deutsche Gesetzgeber hat der Regelung dieser Form grosse Fürsorge zugewandt, 
Seit Schaffung des HGB. hat er nicht bloss das eigentliche Aktienrecht mehrfach revidiert, 
sondern auch durch Schaffung neuer Spielarten wirtschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen 
esucht. 
8 Das Aktienprinzip wird in Deutschland nämlich in vierfacher Form verkörpert: in 
der eigentlichen Aktiengesellschaft, in der Aktienl ditgesellschaft, in der Gesellschaft 
mit beschränkter Haftung und in der Kolonialgesellschaft. Das Ausland kennt meist nur 
die beiden Typen der Aktiengesellschaft und Aktien! ditgesellschaft und in der Tat 
ist zu sagen, dass der Luxus der deutschen Gesetzgebung nur die Folge einer ängstlichen 
Behandlung der Aktiengesellschaft ist, die das Bedürfnis nach einer neuen, weniger rigorosen 
Form erzeugte, während die ausländische Gesetzgebung bei einer elastischeren Ausgestaltung 
des Akticnrechts mit diesem Typus auskommt. 
Die eigentliche Aktiengesellschaft wird im HGB. geregelt. Sie untersteht 
dem Normativsystem. Ein strenges Gesetz verlangt möglichste ÖOffenkundigkeit aller 
wichtigen Hergänge, zivil- und strafrechtliche Bestimmungen suchen die Verantwortlichkeit 
von Gründern und Organen gegenüber den Aktionären und Gläubigern zu schärfen, ein 
grosser Apparat von Kontrollvorschriften gestaltet die Maschinerie nicht bloss zu einer kom- 
plizierten, sondern nicht selten auch schwerfälligen. Der statutarischen Autonomie wird ver- 
hältnismässig wenig Raum gewährt. Kleine Leute sollen fern gehalten werden, daher das 
Verbot, den Nennbetrag der Aktie unter 1000 Mark zu bazziffern, von dem nur wenige 
Ausnahmen bestehen. Das Prinzip der beschränkten Haftung gelangt zu strikter, fast aus- 
nahmeloser Durchführung. Darum ist die Aufbringung neuer Mittel nur durch Anleihe 
oder durch Erhöhung des Grundkapitals, die Abstossung überflüssiger Kapitalien (von 
Dividendenzahlung abgesehen) nur durch Rückzahlung von Anleihen oder Herabsetzung 
des Grundkapitals möglich. Die gesetzgeberische Regelung hat den Vorzug, leichtsinnige 
Gründungen zu erschweren. Aber sie eignet sich nicht für kleinere Unternehmungen, der 
Kraftaufwand steht nicht im Verhältnis zu den Mitteln. Sie eignet sich des ferneren nicht 
für Unternehmungen, die mit wechselnden Verhältnissen rechnen müssen, Geld aufnehmen 
und abstossen wollen, ohne auf den öffentlichen Markt zu treten. Und sie versagt bei 
überseeischen Unternehmungen, wo die Erfüllung der strengen Gesetzesbestimmungen fast 
zar Unmöglichkeit wird. Was von der Aktiengesellschaft gesagt ist, gilt in gleichem Masse 
für die Kommanditgesellschaft auf Aktien, eine Aktiengesellschaft, bei der aber ein oder 
mehrere Personen den Gläubigern persönlich unbeschränkt haften, als Vertreter und Ge- 
 
	        
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