Wilhelm Lexis, Währung. 355
1873 bestimmte, dass „an die Stelle der bestehenden Landeswährungen die Reichsgoldwährung
tritt‘, und, zugleich enthielt es die nötigen Vorschriften über die als Scheidemünzen dienenden
unterwertigen Reichssilbermünzen und die Reichsnickel- und Kupfermünzen (mit Zahlungskraft
bis zu 1 Mark). Die Prägung von Scheidemünzen kann natürlich nur für Reichsrechnung erfolgen,
Goldmünzen zu 20 Mark dagegen können auch für Private gegen eine Gebühr von 3Mk. für das Pfund
Feingold (1395 M.) geprägt werden. Die vorhandenen alten Gold-, Silber- und Scheidemünzen
wurden in den nächsten Jahren eingezogen und ausser Kurs gesetzt, mit Ausnabme jedoch der Taler.
Über diese bestimmt das Gesetz vom 6. Januar 1876, dass sie durch Bundesratsbeschluss bis zu ihrer
Ausserkurssetzung in die Reihe der Reichssilbermünzen mit beschränkter Zahlungskraft gestellt
werden könnten. Ein solcher Beschluss ist jedoch nie gefasst worden, die Taler sind bis zu ihrer
Ausserkuissetzung (am 1. Oktober 1907) Währungsgeld geblieben und Deutschland hat demnach
bis dahin „hinkende Doppelwährung‘ gehabt. Der vollen Durchführung der Münzreform hatte sich
eben eine unvorhergesehene Schwierigkeit entgegengestellt: die Silberentwertung. Diese nahm
schon im Herbst 1873, gleichzeitig mit den ersten deutschen Silberverkäufen, ihren Anfang, und sie
wurde bald wesentlich befördert durch die bereits erwähnte Beschränkung und Einstellung der
Silberprägung in den Staaten des lateinischen Münzbundes. Der schützende Einfluss der franzö-
sischen Doppelwährung auf das Wertverhältnis der beiden Edelmetalle, der dem Golde so sehr zu-
gute gekommen waı, wurde also dem Silber entzogen, und überhaupt wurde ihm das früher so sichere
Unterkommen bei den Münzstätten mehr und mehr versperit. Die Vereinigten Staaten prägten
kein Silber mehr, Holland prägte seit 1875 Goldwährungsmünzen und stellte die Silberprägungen
ein. Die drei skandinavischen Staaten gingen 1872 und 1873 auf Grund einer Münzkonvention zur
Goldwährung über und verkauften ibr Silber. Dazu aber kam eine ausserordentliche Steigerung
der Silberproduktion infolge der Erschliessung der Minen im Westen der Vereinigten Staaten. Sie
hatte 1878 schon 410 Mill. Mark (nach dem alten Wert) eıreicht, gegen 160 Mıll im Durchschnitt
der Jahre 1851—1860, und nahm von Jahr zu Jahr noch weiter zu. Der Londoneı Preis, der dem
Wertverhältnis 151,,: 1 entspricht, ist 60'3/,, Pence für die Unze Münzsilber (von 37/40 Feinbheit),
der wirkliche Preis aber ging 1876 schon zeitweilig auf 463;, Pence und 1878 auf 49 Pence zurück.
Alle Staaten, die noch grosse Silberbestände besassen, wurden durch diesen Preisrückgang mit
empfindlichen Verlusten bedroht. Der Handel mit Ostindien und China, wo in Silber gezahlt wird,
wurde geschädigt, und andererseits klagte die europäische Landwirtschaft über dıe Erleichterung der
Konkurrenz des indischen Weizens durch die Valutadifferenz. Am meisten aber wurden natürlich
die Silberproduzenten betroffen, die in den Vercinigten Staaten eınen weitreichenden Einfluss aus-
übten. Zur Bekämpfung des Übels trat nun der sogenanute Bımrtallismus mit seinem Programm
einer vertragsmässigen internationalen Doppelwährung hervor. Alle wirtschaftlich bedeutenden
Staaten sollten das gemeinsame Wertverhältnis 15%, : 1 (oder, wie man später zugestand, ein zu-
gunsten des Goldes erhöhtes) annehmen und nuch diesem die freie Ausprägung von Gold- und Sılber-
münzen mit unbeschränkter Zahlungskraft gestatten. Wenn die fıanzösische Doppelwährung, so
meinte man, imstande gewesen sei, 70 Jahre lanuy dıe Schwankungen des Wertverhältnisses in engen
Grenzen zu halten, so werde dieses durch eine solche Vereinbarung fast absolut festgelegt werden
können. Auf drei internationalen Münzkonierenzen (1878, 1881 und 1892) wurde dieses Projekt
prinzipiell nicht ungünstig beurteilt, aber jeder Staat wünschte, dass diean deren praktisch den
Versuch machen möchten. Deutschlaud stellte 1879 die Verkäufe von Talersilber ein, die schon er-
hebliche Verluste gebracht hatten. Die Vereinigten Staaten gingen mit einer positiven Massregel
vor, indem sie auf Grund der sogenannten Jslandb.ll 1878 dıe Ausprägung von Standardsilber-
dollars wieder aufnahmen, aber nur auf Rechnung des Bundes und in beschränkter Menge, nämlich
monatlich mindestens zwei und höchstens vier Millionen Dollars. Aber angesichts der fortwährenden
Zunahme der Silberproduktion blieb diese Massregel ohne jede Eiawirkung auf den Silberpreis.
Noch weiter ging die Sherman-Akte von 1890, nach der monatlich 44, Millionen Unzen Silber
mittels eines besonderen Papiergeldes, der Treasury notes, anzekauft und aufgespeichert werden
sollten. Ausgemünzt würde dieses Silberquantum jährlich beinahe 70 Mill. Doll. darstellen. Aber
auch diese „Valorisation“ bewirkte nur eine bald vorübergehende Hebung des Sılberpreises, da
dıe Produktion schon 1891 über 800 Mill.M. (nach dem alten Wert) und später überY0UM. M. hinaus-
23*