Hugo Thiel, Die Bedeutung der Landwirtschaft. 361
als bisher muss ferner. zumal in den Gegenden mit vorwiegendem Grossgrundbesitz. die innere
Kolonisation in Angriff genommen werden, um solange es noch möglich ist, die ländliche Bevölke-
rung zu vermehren und den jetzt besitzlosen Arbeiter an das Land zu fesseln. Die Abwanderung
der eingeborenen Bevölkerung vom Lande in die Stadt und ihr Ersatz durch ausländische Wander-
arbeiter nimmt immer gefährlichere Dimensionen an und ist in wirtschaftlicher wie politischer
Beziehung ein ganz bedenklicher Missstand. Man kann noch so sehr von der Notwendigkeit der
Erhaltung eines genügenden Grossgrundbesitzes überzeugt und doch der Ansicht sein, dass eine Auf-
teilung einzelner grosser Güter unter kleine Bauern- und Arbeiterstellen und eine Ansiedlung von
Arbeitern auf Abspliessen der grossen Güter eines der dringendsten Bedürfnisse der modernen Land-
wirtschaft sei, wenn nicht die Entvölkerung des Landes und das Überwiegen der städtischen Be-
völkerung die grössten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Übelstände herbeiführen soll, die
schliesslich auch für den Grossgrundbesitz verderblich werden würden. Alle diese Massnahmen
würden aber auf die breite Masse der bäuerlichen Bevölkerung von ungenügendem Einfluss bleiben,
wenn nicht in viel grösserem Umfang und mit viel grösseren Mitteln als bisher für eine bessere Fach-
bildung der bäuerlichen Bevölkerung gesorgt würde. Dies Bestreben müsste schon in der Ele-
mentarschule einsetzen, die zwar keinen Fachunterricht erteilen soll, aber in der die naturwissen-
schaftlichen Grundlagen der Landwirtschaft viel ausgiebiger als jetzt gele’nt werden sollten. Auchı
könnte mit der Heimatkunde sehr gut eine Belehrung über die Elemente des Genossenschaftswesens
und sonstiger einschlagender Teile der Verwaltungskunde verbunden werden. Hierzu gehörten
freilich Lehrer, die schon auf den Seminaren entsprechend für ihre künftige Wirksamkeit als Land-
lehrer ausgebildet worden wären. Ungemein wichtig wäre auch gerade für das Land die Pflege des
Handfertigkeitsunterrichts und es würde auch garnichts schaden, wenn an diesen Unterrichtszweigen
in der Elementar- wie in der Fortbildungsschule einzelne teilnehmen müssten, die nachher zu einem
andern als dem landwirtschaftlichen Beruf übergehen. Für die zukünftigen Bauerngutsbesitzer
müsste dann ein weiterer Fachunterricht in Ackerbau oder Winterschulen eintreten, die so ver-
breitet sein müssten, dass sie allen ohne zu grosse Kosten erreichbar wären. Dass daneben auch für
den höheren landwirtschaftlichen Unterricht entsprechend zu sorgen wäre, ist selbstverständlich.
Für den bäuerlichen Landwirt hat sich an die Winterschule anzuschliessen das Wanderlehrertum,
was für einzelne Zweige der Landwirtschaft von Spezialisten oder im allgemeinen durch die
Fachlehrer der Winterschulen auszuüben ist. Mit der Belehrung muss Hand in Hand gehen eine
ausgedehnte Versuchstätigkeit, die sich entweder auf einzelne Kulturen oder auf ganze
Beispielswirtschaften zu erstrecken hat. Grade weil der Landwirt, speziell der Bauer, die
Konkurrenz nicht fühlt, muss man mit andern Mitteln zum Anreiz zu landwirtschaftlichen Ver-
besserungen auf ihn einwirken und den Ehrgeiz, ja selbst den Neid und die Missgunst auf die
Erfolge anderer zur Hilfe rufen. Dem gleichen Zweck dient ja auch das ausgedehnte und staatlich
unterstützte landwirtschaftliche Ausstellungs- und Prämierungswesen, welches den Antrieb geben
soll, die erlangten besseren Fachkenntnisse, das Wissen auch in Taten umzusetzen. Alle Mittel,
welche der Staat zu Zwecken der Förderung der Landwirtschaft aufwendet, gehören sicherlich,
bei richtiger Durchführung dieser Massregeln, zu den produktivsten Ausgaben des Staates und
machen sich in der vermehrten Steuerkraft allein schon bald bezahlt. Man hat vielfach für die ver-
schiedensten Gewerbe die Erbringung eines Befähigungsnachweises verlangt, am nötigsten wäre er
vielleicht für die Landwirtschaft und müsste mit Recht erzwungen werden, wenn es eine leider nicht
erreichbare Garantie dafür gebe, dass nun die erlangte Befähigung auch wirklich zur Anwendung
gebracht würde. Wir sind in Deutschland stolz darauf, dass wir schon in sehr frühen Perioden
unserer Geschichte das Privateigentum an Grund und Boden in immer reineren Formen ausgeprägt
und durch den hiermit zur vollen Wirksamkeit gebrachten Privategoismus grosse wirtschaftliche
Erfolge gezeitigt haben; dies wird aber bei den immer komplizierter werdenden wirtschaftlichen
Verhältnissen auf die Dauer nur haltbar sein, wenn jeder Grundbesitzer von den Gedanken durch-
drungen ist, dass wie jeder Besitz so insbesondere der Besitz von Grund und Boden nicht nur Rechte
gibt, sondern auch mit Pflichten gegen die Allgemeinheit verbunden ist. Wenn diese in der möglichst
produktiven Ausnutzung des Bodens nicht erfüllt werden, so könnte eine Zeit eintreten, in der man
den monopolartigen Charakter des privaten Grundbesitzes nicht mehr anerkennen und das auch