389 Tudwig Stephinger. Die Landwirtschaft mit ihren Nebengewerben.
Ein Überblick über alles dargelegte legt folgende Erwägungen nahe:
Die deutsche Landwirtschaft stand in den letzten Jahrzehnten vor der schweren Aufgabe,
einen steigenden Bedarf zu decken bei abnehmender Zahl der ihr verfügbaren Arbeitskräfte. Wenig
erfreulich ist die Zunahme der Wanderarbeiter, die durchgehends einem niedrigeren Kulturniveau
angehören. Sie drücken die Lage der heimischen Arbeiter, denn die soziale Stellung, das Arbeits-
verhältnis, die Lebenshaltung und Entlohnung sind beim Wanderarbeiter meistens niedriger.
Die Entwicklung der Betriebsgrösse lässt ein bedeutendes Zurückgehen des Grossgrund-
besitzes und eine Ausbreitung des bäuerlichen, besonders des mittelbäuerlichen Betriebes erkennen.
Die kleinsten Betriebe sind jedenfalls in dieser Zahl auch in anderen Ländern noch in grösserer
Zahl zu finden. Die Ausdehnung dieser kleinsten Bertiebe ist von dem Gesichtspunkte aus aufzu-
fassen, dass die Besitzer derselben einerseits durch Nebenbeschäftigung sich durchaus wirtschaft-
lich existenzfähig machen können, andererseits als Arbeitskräfte zur Aushilfe in den anderen Betrie-
ben sehr willkommen sind. Wo der Besitz von weniger als 2 ha Grund und Boden darstellt, der
zur intensivsten Kultur, Wein und Gemüse dergl. verwendet werden kann und wird, ist auch bei
diesen Betrieben eine gesunde wirtschaftliche Existenz durchaus möglich; je intensiver die
Kultur, desto kleiner die Fläche, die dem Bebauer Selbständigkeit verleihen kann.
In steigendem Masse sind die Fortschritte der der Landwirtschaft als Hilfswissenschaften
dienenden Naturwissenschaften von der deutschen Landwirtschaft verwendet worden; dies zeigt
die wachsende Tendenz, an Stelle grosser Quantitäten gute Qualitäten zu produzieren, die starke
Ausnutzung der natürlichen Vorbedingungen und die immer intensiver werdende Wirtschaftsweise
mit steigender Angliederung von Nebengewerben. Die Steigerung des Ernteertrags, besonders
die Entwicklung der Roggenausfuhr und die grossen Erfolge der Viehzucht und Viehwirt-
schaft liefern hierfür die Beweise.
Welchen Wert Grund und Boden für den einzelnen und für die Volkswirtschaft hat, ist nur
schätzungsweise und nur für bestimmte Zeiten und Verhältnisse anzugeben; die Schwierigkeit
in der Aufstellung der privatwirtschaftlichen Bewertung tritt besonders dem entgegen, der sich
mit den grossen Schwierigkeiten landwirtschaftlicher Buchführung befasst; denn es
handelt sich hier oft um Einstellung von Posten für Objekte, die keinen Markt haben, deren
Bedeutung für die marktgängigen landwirtschaftlichen Produkte aber nicht zuverlässig angegeben
werden kann. Die Bewertung ganzer Besitzungen, namentlich des Grund und Bodens hat ja
eine bedeutende Stütze, wo Pachtsätze zum Vergleich herangezogen werden können. Allein die
Ertragswertberechnung ist sehr schwankend nach dem Marktpreise der Waren, die der Landwirt
verkauft und bedarf, nach der Art des verwendeten Betriebs-Systems, der Tüchtigkeit und Aus-
bildung des Landwirts, der Möglichkeit der Nebengewerbe usw. Der Verkaufswert aber wird
dadurch verändert, dass beim Kauf von Grund und Boden viele nicht wirtschaftliche Momente
eine Rolle spielen; Liebe zum Grundbesitz, besonders zu dem in einer speziellen Gegend, Streben
nach Sesshaftmachung aus politischen Gründen, Verlangen nach den gesellschaftlichen Vorteilen,
die mit Grundbesitz zusammenhängen, klimatische, landschaftliche Vorzüge einer Gegend usw.
bringen schwer zu berechnende Elemente in die Preisbildung. Der Boden ist eben durchaus nicht
schlechthin „Kapital“; er kann auch als Kapital behandelt werden, hat aber daneben und darüber
hinaus, besonders dadurch, dass er Standort für den Staatsbetrieb, sowie Standort für irgend-
welche kulturelle u. a. Milieukonstellationen ist, noch so viel Eigentümlichkeiten, dass er Eigen-
schaften besitzt, die nicht im Kapitalbegriff enthalten sind; verschiedene Vermehrbarkeit, Verwend-
berkeit und Teilbarkeit, Verschiedenheit des Produktionsprozesses und der Produkte, Verschieden-
heit der Rechtverhältnisse und sozialen Wirkungen, der Wert- und Preisbildung, Verschiedenheit
der Stellung in der Rechtsordnung und auch in der Wirtschaftspolitik heben Grund und Boden
aus der Reihe aller anderen Kapitalgüter in eine Sonderstellung, die lediglich aus der Eigenschaft,
als Kapitalsumme ausgedrückt werden zu können, nicht zu begreifen ist. Oft denkt man sich auch
das Wirtschaftindividuum ganz abstrakt dem „Kapital“ Grund und Boden gegenüber und vergisst
dabei, wie sehr das Individuum selbst ein Produkt des Bodens und aller der Vorbedingungen ist,
die aus Boden und Klima sich ergeben.