Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

72 F. W. R. Zimmermann, Gerechtigkeit in der Steuerverteilung. 
Staats und der öffentlichen Verbände innerhalb desselben die Steuerpolitik, das ist in sachge- 
mässer Ausübung eine folgerichtige Behandlung und Ausgestaltung der Steuer und der Steuerauf- 
legung. Durch eine solche Steuerpolitik muss die Gerechtigkeit in der Steuerver- 
teilung zum Ausdruck gebracht werden, die sich danach als etwas sehr viel weiter gehendes 
und umfassenderes wie die unten zu berührende Gerechtigkeit unter den sogenannten obersten 
Steuerprinzipien darstellt. Unter Gerechtigkeit in der Steuerverteilung haben wir alles zu ver- 
stehen, was darauf hinzielt, die Steueranforderungen des Staats und der öffentlichen Verbände 
mit der Steuerkraft und den wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen der steuerpflich- 
tigen Bevölkerung sachgemäss in Einklang zu bringen. 
2. Relativität der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung. 
Diese in der Gerechtigkeit der Steuerverteilung liegende Steuerpolitik ist aber ebenmässig 
nichts Abstraktes, für alle Zeiten gleichförmig Festliegendes, sondern sie ändert sich, 
wenn auch unter Umständen nur bis zu einem gewissen Grade, mit dem Entwicklungsgang der im 
Staat vereinten öffentlichen und privaten Wirtschaften, mit der Entfaltung der inneren politischen 
und sozialen Verhältnisse beziehungsweise der Volkswirtschaft überhaupt. Dem allen hat sie sich 
stets mehr oder weniger eng anzugliedern und muss danach für die einzelnen unterschiedlichen 
Zeiträume stets eine entsprechende Umgestaltung erfabren, wie ja auch Steuer und Besteuerung 
selbst in ähnlicher Weise einem inneren Wechsel unterliegen. Diesen Werdegang näher zu verfolgen 
oder im allgemeinen darzulegen, würde uns hier zu weit führen; der Hinweis darauf, dass er statt- 
gefunden, muss genügen, womit gleichzeitig angedeutet ist, dass die Entwicklung fortläuft und 
weitere Verschiebungen in der Steuerpolitik zeitigen wird. Wir können unsere Betrachtung nur 
auf der derzeitigen allgemeinen Lage, auf den Verhältnissen des neuzeitigen entwickelten Staats- 
wesens mit seiner staats- und volkswirtschaftlichen Grundlage, seiner Rechts- und Gesellschafts- 
ordnung aufbauen, wobei allerdings in Einzelfragen ein Rückblick auf die Vergangenheit wie ein 
Ausblick in die Zukunft nicht ausgeschlossen sein dürfte. 
3. Eigenart der Jetztzeit. Keine Einheitssteuer. 
Als in einem besonderen Masse für die augenblicklichen einschlagenden 
Verhältnisse eigenartig ist von vornherein hervorzuheben einmal das ausserordent- 
liche und keineswegs bereits zu einem Abschluss gekommene Anwachsen des Steuer- 
bedarfs, wie es überall in den modernen Staaten mit der schwierigeren Sicherung ihres 
Bestandes durch Heer und Flotte, mit dem stetigen Fortschreiten, Erweitern und Vertiefen ihrer 
kulturellen Aufgaben Platz greift und notwendigerweise Platz greifen muss, und sodann ferner 
der stets in sich verzweigter und verwickelter gewordene Stand der Volkswirtschaft 
mit seinen weitgehenden Verschiedenheiten im Volkseinkommen und im Volksvermögen, der sich 
durch die fortschreitende Entwicklung auf allen einzelnen wirtschaftlichen Gebieten herausgebildet 
hat. \Wije diese in ihrer Einwirkung scharf vortretenden Sonderverhältnisse der Jetztzeit einer- 
seits die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung besonders bedeutungsvoll machen, gleichzeitig aber 
auch in ihrer Durchführung nicht unwesentlich erschweren, so dürften sie andererseits schon allein 
und für sich die Möglichkeit einer Einheitssteuer, in welcher man rein theoretisch vielleicht 
die Verwirklichung einer Gerechtigkeit in der Steuerverteilung am einfachsten und zweckmässig- 
sten erachten könnte, von vornherein ausschliessen, ohne dass, wie es tatsächlich der Fall ist, noch 
eine Reihe anderer Ausschliessungsgründe, die sich aus unserer weiteren Erörterung ergeben werden. 
hinzuzukommen brauchte. Weiter zusammenhängend die Unmöglichkeit einer Einheitssteuer, 
welche dem Bedürfnis und einer gerechten Steuerverteilung Rechnung tragen würde, nachzuweisen, 
werden wir uns bei der Einhelligkeit, mit welcher die Theorie — an eine praktische Durch- 
führung ist wohl nie gedacht — solche anerkennt, versagen. 
4. Steuersystem. 
Wir haben demnach als von Anfang an feststehend mit dem Vorhandensein einer Mehrheit 
von Steuern zurechnen, einer Mehrheit, die unter der Einwirkung jener oben berührten Sonder-
	        
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